Im Sommer wird unser Sohn Willi eingeschult, wir müssen entscheiden, wo wir ihn anmelden. In Hamburgs Schulen wird gerade die «Integration» behinderter Kinder abgeschafft. Stattdessen hat man sich ein neues Wort ausgedacht – nämlich «Inklusion».
Da der Durchschnittsbürger natürlich nicht weiß, was da der Unterschied sein soll, will ich es kurz erklären: Es wird nicht etwas Fremdes in etwas Bestehendes «integriert», sondern alle Menschen sind in ihrer Andersartigkeit gleich. Man geht also von einem heterogenen Ganzen aus.
Inklusion ist eine wunderbare Idee, ein Traum, den ich gerne mitträumen will. Jedes Kind darf fortan auf jede Schule gehen. Sonderschulen sollten überflüssig werden, in allen Schulen lernen körper- und geistig behinderte, verhaltensgestörte und «normale» Kinder gemeinsam – einfach eben mit ganz verschiedenen Lernzielen (was man dann «zieldifferent» nennt): wunderbar!
Und weil man ja niemanden diskriminieren will, hat man sich auch gleich neue Ausdrücke für die Behinderten ausgedacht: Um sie nicht mehr Behinderte zu nennen, umschreibt man sie etwa als «Kinder mit Förderschwerpunkt geistige Entwicklung».
Ich weiß jetzt nicht so genau, warum man sich immer neue Wörter ausdenkt, aber egal. Für unsere Gesellschaft wäre Inklusion ein unvorstellbar großer Schritt zu mehr Menschlichkeit und Toleranz. Was können Kinder nicht alles lernen im Umgang mit so viel Unterschiedlichkeit, toll! Schade, dass die meisten Lehrer in ihrer Ausbildung leider nicht gelernt haben, solche Klassen auch zu unterrichten. Und schade, dass die Lehrer sich nicht in der Mitte durchschneiden können, denn dann könnten sie vielleicht wenigstens zeitlich so eine Herausforderung leisten. Schade auch, dass den bisherigen Integrationsschulen nun die Gelder gekürzt werden sollen, mit denen sie bisher die Aufgabe, behinderte und nicht behinderte Kinder gemeinsam erfolgreich zu unterrichten, leisten konnten. Schade, dass ein Kind wie mein Sohn Willi dann nur gut 2,5 Stunden in der Woche eine Sonderpädagogin an seiner Seite hätte, die stundenweise von Schule zu Schule hetzt. Schade, dass Eltern anderer Schüler sich wahrscheinlich bald beschweren werden, weil Willi so viel Unruhe verbreitet – er kann ja nicht mal 5 Minuten auf einem Stuhl sitzen. Schade, dass Willi nicht sprechen kann und deswegen auch nicht mit Kindern und Lehrern wird kommunizieren können, außer alle lernen und verwenden seine Gebärdensprache. Schade, dass Willi den Unterrichtsinhalten nicht folgen können wird. Schade, dass er immer erleben wird, dass er derjenige ist, der am wenigsten kann. Schade, dass ich mir nicht vorstellen kann, wie Willis Lernziele wie etwa Toilettentraining Teil des Unterrichts werden könnten. Schade, dass er wahrscheinlich ständig in einem Nebenraum sitzen wird und dort die Stifte, mit denen er Mandalas ausmalen sollte, durch die Gegend werfen wird. Schade, dass ich das Gefühl habe, dass es der Stadt Hamburg gar nicht um Inklusion geht, sondern darum, Geld zu sparen.
Aber ein Glück, dass es auch noch Schulen gibt, an denen die erste Unterrichtseinheit darin besteht, zu stampfen und zu singen und erst mal in der Schule körperlich und geistig anzukommen. Ein Glück, dass diese Schulen viel Erfahrung damit haben, zieldifferent und sogar altersübergreifend zu unterrichten und dort nicht alle 45 Minuten ein neues Fach beginnt, auf das sich die Kinder einstellen müssen. Ein Glück, dass es dort auch Lernziele wie Keksteig kneten oder Hände waschen gibt.
Ich weiß, dass es schade für alle «normalen» Hamburger Schulkinder ist, dass sie an Willi nicht lernen dürfen, wie unterschiedlich das Leben sein kann. Aber dafür müssten erst die richtigen Bedingungen geschaffen werden, dass wir bei der Inklusion mitmachen können – bis dahin machen wir es ganz exklusiv, sorry!