Brigitte Werner

Oskar, mon amour

Nr 170 | Februar 2014

Er war besonders. Von Anfang an. Er stahl sich in mein Leben, nahm darin Platz und blieb. Niemand wusste, wo er herkam. Und dass er ein Kater war, merkte ich auch erst nach einer Woche. Ich war voll auf Katzinnen programmiert. Deshalb hieß Oskar eine Woche lang Minka. Bis ich zwei seltsame Knubbel unter seinem Bauch entdeckte, die mich das Schlimmste befürchten ließen. Meine Mitbewohnerin bekam einen Lachanfall und ich eine Belehrung. Ich musste von nun an mit einem kastrierten Kater leben.
Ich nannte ihn Oskar. Das fand er okay. Er hatte Mund­geruch und ein Herz so groß wie der ganze Ruhrpott. Er konnte jede Tür
öffnen und sich unsichtbar machen oder in seiner ganzen Pracht und Herrlichkeit die Herzen der stolzesten Katzenschön­heiten brechen. Er wurde später der Kabulski für mein Kinder­buch, darüber kann er nur grinsen. Er war ein begnadeter Tangotänzer, mit seinen schwarzweißen Pfoten durchschlich er in leichtfüßiger Eleganz die Tiefen der Nacht.
Ich hätte mir niemals Sorgen um mein leibliches Wohl machen müssen – mit Tauben und Kaninchen wäre ich über die Runden gekommen. Er meditierte gemeinsam mit mir und meinen Freunden, wir lasen eine Unmenge von Büchern zusammen, er legte sich demonstrativ über jedes Manuskript, hatte ein Dutzend Bratkartoffelverhältnisse in unserem Viertel, weil er mühelos eine schwangere Katzendame vortäuschen konnte – sein Bauch war nicht zu übersehen. Ging er majestätisch übers Zechengelände, so wetteten die Kumpels, dass er irgendwo einen kleinen Helm versteckt hatte. Denn er war Cheffe. Immer und überall.
Die Hunde machten einen weiten Bogen um ihn. Er kümmerte sich um Phillip, den kleinen, sehr kranken Kater, den er eigentlich nicht leiden konnte, setzte sich hinter ihn, umarmte, oder besser umpfotete ihn und leckte ihn gründlich sauber, denn Phillip war zu schwach, um es selber zu tun. Was Oskar eine Weile später nicht daran hinderte, ihn gründlich zu verkloppen, als der sich zu weit in sein Revier gewagt hatte.
Er zog dreimal mit mir um, er liebte mich so wie ich war, mit all meinen schrägen Macken und meinen Bad hair days. Er liebte mich ohne Wenn und Aber, er teilte das Bett mit mir, naja, ich durfte es mit ihm teilen. Als er krank wurde, teilte ich die Krank­heit mit ihm. Wir litten zusammen, aber ich konnte ihm nicht helfen. Er verkroch sich in der dunkelsten Ecke unter meinem Bett, ich lag auf dem Teppich davor. Als er starb, gab es nur schwärzestes Schwarz in mir. Ich begrub ihn im Garten. Jeden Tag stolperte ich mehrere Male über ihn in meiner Wohnung, ich sah ihn um die Ecken kommen und redete mit ihm. Ich war nicht bereit, ihn gehen zu lassen. Er war meine große Liebe.
Als ich ein paar Tage später in der Stadtbibliothek Bücher aus­leihen will, liegt neben dem Besucher-PC ein Buch. Die dürfen da nicht liegen. Die muss man zurück ins Regal stellen. Ich bin kein besonders ordentlicher Mensch, aber Büchereien sind mir heilig. Ich nehme es in die Hand. Ich sehe Zeilen mit Bleistiftunter­streichungen. Ich bin empört und suche einen Radiergummi.
Ich will radieren und lese: Es gibt Tiere, die zu uns Menschen eine tiefe Seelenverbindung aufbauen. Wir werden sie wieder treffen. Im Jenseits warten sie auf uns. Sie werden dort weiterhin ihre Liebe mit uns teilen … Liebe geht niemals verloren …
Die Worte sind von White Eagle. Ich kenne ihn. Ich bin gerade auf meinem Eso-Trip, der mich später in die Spiritualität führt. White Eagle verehre ich. Ich lese diese Zeilen mit großen Augen. Ich schaue mich um. Wer hat das Buch dort liegen gelassen? Wer hat diese Worte für mich markiert?
Die Sätze habe ich nicht ausradiert. Irgendjemand wird sie brauchen.