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Kate Milford

Boneshaker

Nr 205 | Januar 2017

gelesen von Simone Lambert

An der berüchtigten Kreuzung in der Kleinstadt Arcane in Missouri macht eines Tages in den 1920er Jahren eine Wagenkolonne fahrender Leute wegen einer Radpanne Halt. Da die Reparatur einige Zeit in Anspruch nehmen wird, ordnet der Direktor Dr. Jake Biegebein an, seinen «pharmazeutischen Markt und technologische Medizinausstellung» aufzubauen. Neugierig und auf der Suche nach Abwechslung begeben sich die Städter in die Vorführungen. Nur Natalie Minks, eine jungenhafte Dreizehnjährige, bleibt misstrauisch und stellt eigene Nachforschungen an, wer denn dieser Dr. Biegebein und seine vier «Quacksalber» sind.
Vorgeführt werden Therapien aus der Medizingeschichte: Phrenologie, Bernsteintherapie, Hydrotherapie, Magnetismus. In der Hoffnung, sich von ihren Leiden zu befreien, lassen sich die Bürger Arcanes behandeln. Die Ausstellung zeigt Apparate, die sich wie Menschen bewegen und verhalten. Natalie, die gern in der Mechanikerwerkstatt ihres Vaters hilft und fasziniert ist von Automaten, schreckt zurück, weil diese mechanischen Geräte sich bewegen, ohne aufgezogen zu werden. Sie sind Perpetua Mobilia, eine Unmöglichkeit, wie Natalie weiß.
Kate Milford erzählt in ihrem Erstlingsroman mit arche­typischen Figuren eine Geschichte um den ewigen Kampf zwischen Gut und Böse. Dr. Biegebein ist ein faustisches Wesen. Wer in sein Therapieprogramm gerät, dem steht endlose Qual bevor: der «Ingwerfuß», der völlige Kontrollverlust über den eigenen Körper. Jack Höllenkohle findet sich ein, eine Gestalt der irisch-amerikanischen Sagenwelt. Der Teufel selbst tritt an, Menschen zu automatisieren. Es sind stets die Hände der Menschen, um die er wettet – ein sprechendes Bild für die Handlungsunfähigkeit, die mit seiner Herrschaft verbunden ist.
Gegen diese Dystopie kämpft Natalie mit Tom Guyot, einem schwarzen Musiker, ehemaligen Sklaven und Bürgerkriegsveteran, der in einem späteren Roman Milfords, Broken Land, eine tragende Rolle spielt. Er hat der Herausforderung des Teufels einst widerstanden. Von ihm lernt Natalie, dem Bösen ins Gesicht zu schauen und dabei Zuversicht zu bewahren.
Arcane hat auch einen unerkannten Engel, Simon Coffrett, ein scheinbar schwacher Charakter, der erst am Ende seine furchtlose Kraft unter Beweis stellt. Und es gibt eine Geschichten­erzählerin, Natalies Mutter. Ihre Gabe wird im Verlauf des Romans auf ihre Tochter übergehen. Natalie hat Visionen, die sie die furchtbare Wahrheit über Arcane erkennen lassen. Sie allein kann die Bedrohung rückgängig machen. Hinter sich Biegebeins Dämonen, rast Natalie auf dem Boneshaker, ihrem unfahrbaren Fahrrad, auf die Kreuzung zu, um den Teufel zu treffen. Und diesmal beherrscht sie es perfekt, der Boneshaker folgt ihrem Willen…
In dieser Abenteuergeschichte, diesem Coming of Age-Roman und modernem Märchen verbirgt sich eine christliche Symbolik. In einem mutigen Akt von Solidarität und Menschlichkeit rettet das Mädchen Natalie, deren Name auf das Weihnachtsfest hinweist, am Kreuzweg (sic!) die Freiheit und das Leben ihrer – nicht immer beliebten und nicht immer liebenswürdigen – Mitbürger und wird dabei erwachsen. Milford will nichts weniger als vom Absoluten erzählen und macht daraus einen gut recherchierten und motivisch opulenten Pageturner, hinter dem man an den Feiertagen und im neuen Jahr genüsslich verschwinden kann.