Martin von Mackensen im Gespräch mit Doris Kleinau-Metzler

Wir brauchen eine Denkwende

Nr 207 | März 2017

Essen müssen wir alle. Sparen, auf den Preis schauen tut fast jeder. Unser Einkommen ist begrenzt. Warum also mehr ausgeben als unbedingt notwendig? Weil wir als Verbraucher bestimmen, was angebaut, wie der Ackerboden bewirtschaftet wird und wie Tiere gehalten werden. Auch über die Qualität unserer Lebensmittel und unserer Landschaft bestimmen wir damit. Martin von Mackensen beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit diesen Themen, zunächst praktisch in verschiedenen landwirtschaftlichen Höfen, besonders in der Milchwirtschaft. Inzwischen ist er zuständig für die Landbauschule auf dem Dottenfelderhof bei Frankfurt am Main, einer Fachschule für biodynamischen Landbau. Landwirtschaft als Organismus und sein Engagement für eine Denkwende gehören zu seinem Lebensweg. www.dottenfelderhof.de

Doris Kleinau-Metzler | Herr von Mackensen, eine Tätigkeit in der Landwirtschaft ist heute nicht mehr selbstverständlich. Wie sind Sie dazu gekommen?
Martin von Mackensen | Ich komme aus einer Lehrerfamilie und hatte das große Glück, seit meiner frühen Kindheit die Ferien im Sommer auf einem kleinen Hof im Hochgebirge, in den Vogesen, zu verbringen. Dort erlebte ich eine Landwirtschaft, wie sie vor Jahrzehnten war – mit Pferd und Sense und fünf Kühen im Stall. Den Duft von solchem Heu hatte ich nie wieder in der Nase …
Am Ende meiner Schulzeit wollte ich aber eigentlich Kunst bei Joseph Beuys studieren. Während der Baumpflanzaktion im Rahmen der documenta wurden zwischen 1982 und 1986 in Kassel 7.000 Eichen gepflanzt, und ich habe dort mit Beuys zusammengearbeitet. Er kannte mich somit gut und sagte: «Du hattest doch was mit Landwirtschaft. Mach das! Das ist viel wichtiger!»
Ein halbes Jahr später starb er, aber ich habe verstanden: Er wollte mit seiner 7.000-Eichen-Aktion nicht nur die Stadt mit einigen Bäumen ausstatten, sondern eine Denkwende in unserer Zivilisation vollziehen: Wir müssen anders mit der Natur umgehen.

«Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung ändern kann», hat er immer wieder gesagt.
So eine Denkwende in der Landwirtschaft hin zum biologischen Anbau ist notwendig – und die kann letztlich nur der Verbraucher bewirken.

DKM | Wir Konsumenten sollen anders handeln. Aber warum? Unsere Lebensmittel sind geprüft, es gibt eine überwältigende Auswahl.
MvM | Es geht um die Balance von Qualität und Ertrag. Das gilt zum einen für die Qualität der Nahrungsmittel. Ob die Pflanze in einer Hydrokultur steht und die Nährlösung in Wasser gelöst aufnehmen muss oder ob sie in einem fruchtbaren Boden steht und sich, je nach Standort und Jahreszeit, ihr Wachstum selbst erschließen muss, ist ein großer Unterschied. Den schmeckt man natürlich auch ? selbst wenn der Geschmack der meisten Kultur­pflanzen, die auf Masse gezüchtet sind, entsprechend schwach ist. Im Weinbau, wo der Geschmack die entscheidende Rolle spielt, gibt es eine breite Entwicklung hin zu Öko- und speziell biologisch-dynamischem Anbau.
Auf der anderen Seite ist genauso wichtig: Welcher Art des Anbaus entstammen diese Lebensmittel? Denn das bedeutet: Wie soll unsere Landschaft in Zukunft aussehen ? wollen wir eine Agrarsteppe mit Monokultur? In so einer Umwelt können wir die Qualität unserer Böden nicht erhalten, können wir das Grundwasser nicht schützen und auch nicht die Vielfalt unserer Pflanzen- und Tierwelt.

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Fotos: © Wolfgang Schmidt | www.wolfgang-schmidt-foto.de | Durch die Bildergalerie geht's per Klick auf die Klammern

DKM | Aber die Forschung, die Entwicklung von neuen Samensorten, Gentechnik und verbessertem Dünger geht immer weiter …
MvM | Was wir heute auf dem Boden tun, ist oft erst in 20 bis 30 Jahren sichtbar und wirkt im Boden und im Grundwasser. In den 1970er-Jahren wurde Atrazin, das Mais-Herbizid, benutzt, und heute haben wir mit dieser hochgiftigen Substanz ein Problem im Grundwasser, obwohl es seit 20 Jahren nicht mehr gespritzt wird. So ist es immer: Diese Mittel durchlaufen Tests, werden zugelassen, und spätestens nach 20 Jahren merkt man: Es passiert noch etwas anderes, mit Pflanzen, mit Insekten, was ein großes Problem wird (wie das Bienensterben). Mit der ganzen Agrarchemie wird jedes Mal ein Riesentest gemacht, der sehr viel zerstört, bis man es merkt. Auch nicht samenfähige Sorten (Hybride), mit und ohne Gentechnik, haben Auswirkungen auf unsere Ernährung und den Boden.

DKM | Das Thema «Boden» scheint ohnehin immer wichtiger zu werden.
MvM | Ja, wir sollten dringend überlegen: Was ist eigentlich Boden? Im Hochgebirge etwa kann man sich das anschauen, wie die ersten Pflänzchen in Geröll stehen und sich um ihre Wurzeln ein bisschen Erde bildet. Dann bleibt da etwas mehr hängen, und so geht es immer weiter. Boden ist ein lebendiges Archiv und ist Entwicklung! Eine Schlüsselaufgabe des ökologischen Landbaus ist, die Bodenfruchtbarkeit zu erhalten und zu steigern; dabei spielen Fruchtfolge, Saaten­auswahl und Wiederkäuer, das heißt Rinder, Ziegen und Schafe, eine entscheidende Rolle.
Die Neuzeit in der Landwirtschaft fing im 18. Jahrhundert an, indem Klee in die Fruchtfolge integriert wurde (statt das Land eine Zeit brachliegen zu lassen). Mit dem Anbau von Klee konnte man mehr Kühe halten – und mit deren Mist, dem wert­vollsten natürlichen Dünger, wiederum den Acker düngen. Landwirtschaft ist immer das Zusammenspiel von Viehhaltung und Pflanzenbau, von Tieren, Wiesen, Hecken, Bienen, Wasser. Das ist ein lebendiger Organismus, den wir in biologisch-dynamischen Betrieben (Demeter-Höfen) durch die Art, wie wir diese bewirtschaften, aufrechterhalten und fördern. Dagegen hat eine Spezialisierung der Landwirtschaft, wie sie heute verbreitet ist, in Form von einseitigen Saatfolgen, Monokultur und massenhafter Viehhaltung entsprechende Konsequenzen: Der Boden laugt aus, der Mist ist kein Dünger mehr, sondern Schadstoff und muss aufwändig entsorgt werden bzw. belastet in einigen Regionen bereits das Grundwasser.

DKM | Dann ist es vielleicht besser, noch mehr Menschen leben vegetarisch, das heißt ohne Fleisch?
MvM | Ich kann jeden Menschen, der kein Fleisch isst, verstehen. Wir haben derzeit zudem nicht so viel Fleisch, welches wir in der biologischen Landwirtschaft erzeugen, um den gesamten Bedarf zu decken. Von daher bin ich froh über jeden, der das nicht nachhaltig erzeugte Fleisch nicht isst. Aber die Viehhaltung ist in einem ausgewogenen Kreislauf ganz entscheidend für die Bodenfruchtbarkeit: Der Klee wird als Fruchtfolge angebaut und bereichert den Boden, die Kuh frisst den Klee und produziert daraus den bes­ten Dünger der Welt, der die Ertragsfähigkeit der Bodens gewährleistet. Zumindest für unsere Kinder brauchen wir Milch, und viele von uns genießen Käse, der zu den Grundnahrungsmitteln gehört. Das alles können wir verantwortbar und nachhaltig erzeugen und bei entsprechender Förderung und Verbraucherinteresse noch ausbauen – ohne Soja aus Übersee. Die Kuh wird in den biologisch-dynamischen Höfen hauptsächlich nicht mit Getreide, sondern mit dem sogenannten Grundfutter gefüttert, dem, was sie verdauen kann und wir nicht: Klee, Luzerne, Gras und Kräuter. 40 % der Flächen in Deutschland sind Grünland. Die Wiese ist die Mutter des Ackerlandes, die Kuh ist das Bindeglied.

DKM | Wir haben die Wahl, wie wir uns ernähren. Aber braucht man nicht mehr Dünger und Spezialisierung, um den Hunger auf der Welt zu bekämpfen?
MvM | Die Welternährung wird nicht auf mitteleuropäischen Äckern entschieden. Sie entscheidet sich genau in den Regionen, in denen es besonders schwierige Anbau- und Lebensbedingungen gibt – seien es Dürre, Trockenheit oder Starkregen mit Überflutungen. Das alles sind Bedingungen, in denen eine kleinbäuerliche, arbeitsintensive Landwirtschaft die einzige Rettung ist. Und die ist per se Bio. Felix zu Löwenstein hat das in seinem Buch Food Crash. Wir werden uns ökologisch ernähren oder gar nicht mehr wunderbar herausgearbeitet. Gerade der konventionelle Landbau funktioniert in der sogenannten Dritten Welt oft nicht, da er auf lange Sicht unter den Bedingungen dort nicht mehr Erträge erwirtschaftet, weil es entweder an Wasser mangelt oder weil es ganz dünne, kaum fruchtbare Böden sind. Da nützen uns Insektizide und Herbizide nichts. Aber man kann beispielsweise durch Baumpflanzungen und Gemüseanbau den Boden grundlegend verbessern. Dafür gibt es viele gute Beispiele in Afrika und Südamerika.
Wir haben genügend Lebens­mittel – es ist ein Verteilungsproblem! 30 % der Lebensmittel verderben ? auf dem Transport oder weil sie zu viel sind. In vielen Regionen der Welt wird ein irrsinniger Raubbau betrieben, damit wir hier Schweine in riesigen Mengen mästen können und unsere Kühe zum Doppelten der Milchleistung, die normal wäre, manipulieren – das ist unverantwortlich! Wenn man sich anschaut, was dort passiert, wo dieses Futter herkommt, muss man einfach damit aufhören – und man muss diesen Regionen helfen, eine nachhaltige Landwirtschaft zu entwickeln.

DKM | Wie sieht die Zukunft aus?
MvM | Es wird in Zukunft so viel biologische Landwirtschaft geben, wie Menschen da sind, die das wollen! Dazu kann auch gehören, dass ich als Verbraucher nicht nur entsprechend einkaufe, sondern mich auch in anderer Form engagiere, wie zum Beispiel durch finanzielle Unterstützung eines Hühner­mobils, bei dem ein Stallplatz eben 60 Euro kostet statt 12 Euro für Massenhühner­haltung. Die Finanzierung können Menschen aus der Umgebung übernehmen, die das Geld leihen, wie wir es hier auf dem Dottenfelderhof erleben. Vonseiten der Höfe müssen wir den Menschen die Begegnung mit unserer nachhaltigen biologischen Landwirtschaft ermöglichen, durch Informationen vor Ort, durch Hof-Feste und durch Angebote für Schüler, damit sie ihr Wissen ganz praxisnah erweitern können.
Jeden Baum, jeden Strauch, jede Pflanze, jedes Tier wird es in Zukunft nur in der Menge und Vielfalt in der Welt geben, wie Menschen das wollen! Denn die wunder­schöne Natur um uns, auch jeder Wald, ist menschengemacht (sonst sähe es hier anders aus). Deshalb müssen wir Verantwortung für die gesamte Natur übernehmen, auf breiter Front und jeder Einzelne! Wie wir leben wollen, entscheiden wir an der Kasse.