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Christa Ludwig

Bellcanto

Nr 211 | Juli 2017

gelesen von Simone Lambert

Robin ist ein zwölfjähriger Junge mit Übergewicht, ein Schulschwänzer, auffällig geworden wegen Chips-Diebstahl und Prügeleien. Seine Mutter hat Alkoholprobleme, der gewalttätige Vater lebt nicht mehr Zuhause. Robin verwahrlost zunehmend. Bevor er in eine Pflegefamilie gegeben wird, soll mit einem Besuchshund versucht werden, ihn zu resozialisieren: Bellcanto, eine gefleckte Promenadenmischung, lockt mit seiner lebhaften und menschenfreundlichen Art jeden aus der Reserve.
Eduard Heyse ist ein zuckerkranker, pensionierter Zoologe, ebenfalls mit einem Menschenproblem. Verbittert und aggressiv, gilt der Greis im Altenheim, in dem er lebt, als schwieriger Insasse. Heyse ist allein – er hat ausschließlich für seinen Beruf gelebt, ist geschieden und hat seinen einzigen Sohn vernach­lässigt. Nur Bellcanto, sein wöchentlicher Besuchshund, kann ihm ein Lächeln entlocken.
Und dieser Hund mit seinem Spürsinn führt die Außenseiter zusammen. Abenteuerlich und heikel ist die Reise, die nun beginnt. Ein kranker alter Mann und ein Junge aus prekären Verhältnissen flüchten aus ihrer Lage. Für Robin, der sich bereits wieder in die Schule gewagt hatte, scheint dies ein Rückschritt zu sein. Was die ungleichen Reisenden zusammenhält, ist die Liebe zum Tier, die Liebe zu Bellcanto. Die Botschaft an einem geplatzten Luftballon von einem Mädchen aus Ludwigshafen, dessen Hund gestorben ist, setzt beider Ziel fest: Sie wollen in die Stadt am Rhein und Selina trösten.
Manchmal gewährt der Alte dem Jungen Anerkennung, um dann wieder in Schroffheiten und Sticheleien zurückzufallen. Heyse weiß von seltenen Tieren zu erzählen und er erweist sich als gewiefter Stratege; um den Eindruck zu erwecken, dass Opa und Enkel miteinander unterwegs sind, besorgt er neue Kleider für Robin und erfüllt dem Jungen damit Wünsche.
Robin selbst wird körperlich und seelisch stark gefordert in diesen Tagen. Er muss auf Bäume klettern, erlebt Hunger, rettet Bellcanto vor Stromschnellen in einem kalten, reißenden Fluss und muss schließlich für Heyse den Notarzt rufen. Und er lernt Olga kennen, das russische Mädchen aus dem Internat, dass die deutsche Zivilisation und ihre Bewohner so laaaangweilig findet. Ihr, der Wunderschönen, möchte er imponieren. Olga ist wild, clever, mutig und da, wenn Robin sie braucht.
In Mannheim erkennt Robin, dass Heyse ein eigenes Ziel verfolgt: Er will zu seinem Sohn. Als der Alte mit einer Insulin­in­suffizienz ins Krankenhaus eingeliefert wird und Robin mit Bellcanto allein in der fremden Stadt zurückbleibt, sorgt der Junge dafür, dass die Pläne zu Ende gebracht werden: Er sucht Selinas Adresse in Ludwigshafen auf und auch den Sohn Heyses. Und nun klärt sich die Situation der beiden Desperados …
Robin findet auf dieser Reise Mut und Selbstvertrauen und gewinnt Freunde; damit verändert er sein Leben. Auch der alte Heyse versucht, seine Lebensrichtung zu korrigieren.
In Christa Ludwigs Romanen spielen Tiere immer wieder Hauptrollen. Diesmal bringt ein Hund das Leben der Protagonisten wieder in Bewegung. Und stellt Verbindung her.
Dieser Kinderroman unterhält und analysiert zugleich die unhaltbare Situation der Ausreißer. Nah am Detail, furchtlos und mit Wärme und Verständnis erzählt die Autorin von einer Flucht aus der Verzweiflung.