Ulrike Groos im Gespräch mit Doris Kleinau-Metzler

Was im Glashaus hängt … Das Kunstmuseum Stuttgart

Nr 212 | August 2017

Museen bewahren etwas auf, stellen etwas aus. Die Schwelle zum Eintritt scheint manchen hoch – doch im Kunstmuseum Stuttgart laden das Café und die Bar im großen Eingangsbereich des Museums zum Nähertreten ein. Hier am Kleinen Schlossplatz wird die Königstraße, eine der Stuttgarter Einkaufszonen, wohltuend unterbrochen von einer Grünanlage, einem klassizistischen Säulenbau und dem Neubau des Museums. Mit seiner schlicht gegliederten Glasfassade fügt es sich dezent in sein Umfeld ein und bietet statt lauter Geschäftigkeit einen Raum zum Innehalten, wie die Museumsleiterin Dr. Ulrike Groos veranschaulicht. Zum genauen Wahrnehmen der Kunstwerke, für Denkanstöße werden Führungen, Audioguides und unterschied-liche Workshops für Schüler angeboten. So gehen vom Kunstmuseum Stuttgart mit seinen Werken der neueren Moderne und wechselnden, gattungsübergreifenden Ausstellungen (zu Themen wie 2015 «Kunst und Jazz» und 2018 «Ekstase in Kunst, Musik und Tanz») vielfältige Impulse in sein städtisches Umfeld aus.

Doris Kleinau-Metzler | Liebe Frau Groos, das Museum hat mich beim ersten Anblick mit seiner Glasfassade und den schattenhaften Türen dahinter verblüfft und neugierig gemacht. Welche Rolle spielt die Architektur für Sie?
Ulrike Groos | Die Architektur spielt hier eine große Rolle, weil sie durch die transparente Oberfläche einladend und offen wirkt. Der weithin sichtbare Glaskubus ist jedoch nur ein Teil des Museums, dort werden die jeweils aktuellen Sonderausstellungen gezeigt, während der überwiegende Teil, die Sammlung, unterirdisch präsentiert wird. Vom obersten Stockwerk des Museums aus, dem Restaurant Cube, hat man zudem einen wunderbaren Weitblick zu den umgebenden Hügeln, die die Innenstadt wie einen Kessel einfassen. Man schaut auch auf eine beeindruckend dichte Ansammlung von hoch­rangigen Kulturinstitutionen, die hier alle nah beiein­anderliegen, wie das Landesmuseum, das Staatstheater Stuttgart mit Oper, Schauspiel und Ballett, den Württembergischen Kunstverein oder dahinter die Staatsgalerie, das Haus der Geschichte und das neue Stadtmuseum. Genau dieses kulturelle Angebot hat mich von Anfang an gereizt, denn man kann mit den Kollegen zusammenarbeiten, den eigenen Kunst-Blick öffnen, erweitern und vertiefen in die Musik, die Literatur, das Schauspiel. Das haben wir in der Vergangenheit bereits öfters gemacht und planen es auch für die Gegenwart und Zukunft.

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Fotos: © Wolfgang Schmidt | www.wolfgang-schmidt-foto.de | Durch die Bildergalerie geht's per Klick auf die Klammern

DKM | Können Sie dafür ein Beispiel geben?
UG | Anlässlich des zehnjährigen Jubiläums des Kunstmuseums hier am Schlossplatz zeigten wir die bisher erfolgreichste Ausstellung des Hauses, I Got Rhythm. Kunst und Jazz seit 1920, mit Leihgaben aus der ganzen Welt. Es boten sich viele Anknüpfungspunkte in anderen Bereichen an, denn in der Umbruchzeit nach dem Ersten Weltkrieg und in den Jahrzehnten danach hat diese neue Art von Musik, die von Jazzmusikern aus den Vereinigten Staaten nach Europa gebracht wurde, etliche bildende Künstler begeistert – manche, wie Max Beckmann, haben Bilder mit dem Hinweis auf ganz bestimmte Jazzstücke gemalt, Henri Matisse oder Piet Mondrian übersetzten die Wildheit und Buntheit sowie den Rhythmus des Jazz in ihre Gemälde. Und natürlich haben wir auch Musik und Tanz ins Museum geholt – der Nackttänzerin Josephine Baker war ein eigener, großer Raum gewidmet, parallel wurden von uns etliche Konzerte und Performances ver­anstaltet. Diese Verbindung von Musik und Kunst hat die Menschen angezogen, junge und alte Leute aus ganz Europa und den USA, Familien, Musiklieb­haber und Menschen, die sonst selten oder nie ins Museum gehen. – Die Musik spielte auch bei unserem Audioguide die zentrale Rolle. Die meisten Musiktitel bezogen sich direkt auf die ausgestellten Kunstwerke, zusätzlich erhielt man Informationen zu den Arbeiten und Künstlern. Die Besucher hatten Kopfhörer auf, standen vor den Bildern oder Skulpturen und haben teilweise zu der Musik getanzt. Besonders freute mich die hohe Verweildauer im Museum, zwei bis drei Stunden durchschnittlich.
Das sehe ich als eine unserer zentralen Museumsaufgaben an – Denkanstöße zu geben durch Verknüpfungen zu anderen Bereichen unseres Lebens, Richtungen aufzuzeigen, wie man unsere Gesellschaft, unser Zusammenleben anders denken kann, indem man alternative Möglichkeiten, die Welt zu sehen, nämlich durch die Kunst, anbietet und vermittelt. Dazu gehört auch, wie die Kunst auf Fragestellungen unserer Zeit reagiert.

DKM | Manchmal steht man als Besucher hilflos vor einem Werk, denkt: «Was soll das denn?» Sie sprachen den Audioguide ja schon an, das kleine Gerät, das man an der Kasse ausleihen kann. Wie wichtig sind Führungen?
UG | Die Kunstvermittlung ist mir enorm wichtig, denn sie ist im besten Fall eine Brücke zum Kunstwerk und regt die eigene Fantasie an. Ein guter Medienguide funktioniert auf mehreren Ebenen. Er gibt den Besuchern die Möglichkeit, über verschiedene Kanäle wie Bewegtbild oder Audiotexte vertiefende Informationen abzurufen und ausgestellte Werke sowie die Museumsarchitektur intuitiv zu entdecken und eigene Wahrnehmungsprozesse anzuregen. Die Führungen bei uns sind dialogisch angelegt, da wir großen Wert auf den direkten Austausch mit unseren Besuchern legen. Einführende Fragen wie: «Was sehen Sie auf dem Bild?» – «Welche Materialien wurden für die Skulptur verwendet?» oder «Was empfinden Sie beim Betrachten des Werkes?», bauen Berührungsängste ab. Viele Besucher verlieren dadurch ihre Scheu vor der Kunst und beginnen, über deren Bedeutung zu diskutieren, über die inhaltliche Aussage eines Werkes oder die Möglich­keiten des Materials, und sind hinterher oft überrascht, was sie Neues erfahren haben.

DKM | Den Satz «Das kann ich auch …» haben Sie sicher auch öfter gehört?
UG | (schmunzelt) Ja sicher, damit hat mich schon mein Vater früher provoziert, beispielsweise bei den Werken von Yves Klein. Ich habe damals geantwortet, dass vor Klein niemand darauf gekommen ist, auf diese Art und Weise mit Leinwand, Material und Farbe umzugehen. Sicher kann man leicht sagen: Ich kann auch Schnitte in eine Leinwand machen wie Lucio Fontana es in den 1950er-Jahren bei seinen Bildern tat. Er machte es jedoch, um deren räumliche Wirkung zu erhöhen. Das war zu seiner Zeit ein revolutionärer Schritt: durch das Aufbrechen der Bildoberfläche die Grenzen der Gemälde aufzuheben, die Zweidimensionalität zu verlassen und Plastizität zu schaffen. Solch eine Abkehr von Maltraditionen ist doch ein spannender Denkanstoß für den Museumsbesucher im Sinne von «Es kann auch anders sein als gewohnt». Manchmal hindern uns unsere festen Ansichten und Meinungen, wie etwas zu sein hat, daran, anders zu schauen oder zu denken und auch mal von der Norm abzuweichen. So sind die Bilder von Otto Dix, die einen Schwer­punkt unserer Museumssammlung bilden, zwar einerseits weltberühmt, wirken jedoch auf einige Betrachter auch abstoßend. Sie sind aufgrund des Aufzeigens sozialer Missstände und der Schilderung von Kriegserlebnissen nicht nur ein Spiegel­bild ihrer Zeit, sondern erzählen außerdem von den Ängsten und Schrecken der Gegenwart.

DKM | Die jüngere Generation allerdings hat durch Internet und Computerspiele andere Erfahrungen. Wie geht das Museum damit um?
UG | Wir haben engen Kontakt zu Lehrern verschiedener Schularten und laden sie regelmäßig zu Veranstaltungen ein; viele Schulklassen und auch Kindergartengruppen kommen daher ins Museum und in unsere Werkstatt. Ein weiterer Schwerpunkt der Kunstvermittlung ist unser Jugendkunstklub crumpled paper. Es hat sich gezeigt, dass viele der Jugendlichen, die über mehrere Jahre daran teilgenommen haben, später eine künstlerische Ausbildung beginnen, sei es ein Studium der Kunstpädagogik oder des Grafikdesigns. Sehr stark ist unser Engagement auch in der frühkindlichen Kreativitätsförderung, wobei die Betonung auf Kreativität liegt. Hierfür haben wir spezielle Angebote erarbeitet. Neueste Arbeitsmarktforschungen zeigen, dass durch die Digitalisierung andere Fähigkeiten und Anforderungen für das Berufsleben in den Vordergrund rücken und insbesondere Kreativschaffende künftig eine wichtige Rolle einnehmen werden. Im Zeitalter der digitalen Vernetzung muss ein lebendiges Bild des Museums nach außen vermittelt und dem Interessierten die Chance zum offenen Dialog eröffnet werden. So sind soziale Netzwerke auch für uns unverzichtbar. Sie helfen gerade bei der Erschließung junger Besuchergruppen. Facebook-User sind im Schnitt Mitte zwanzig und damit ein völlig anderes Publikum als die Besucher, die sonst zu uns kommen. Mit einer professionalisierten Digitalisierung, die wir gerade erarbeiten, erhoffen wir uns eine Teilhabe für alle. Wir möchten als offenes Museum und «Haus in Bewegung» wahrgenommen werden. Das bieten uns die neuen Technologien auf hervorragende Weise.

DKM | Was erscheint Ihnen wesentlich für die Zukunft Ihres Museums?
UG | Unsere Welt wird immer virtueller, deshalb sind direkte Begegnungen zwischen Mensch und Kunst umso wichtiger. Ein Museumsrundgang im Netz soll neugierig machen, kann jedoch die Erfahrungen und Wahrnehmungen eines realen Besuches nicht ersetzen. Das Museum soll ein kultureller und sozialer Ort mit lebendigem Austausch sein, der Menschen über Kunst ins Gespräch kommen lässt. Dadurch wollen wir eine offene, tolerante Gesellschaft fördern, die auch kritische Fragen zulässt und in eine gesellschaftliche Debatte einsteigt. Nicht zuletzt gehört auch weiterhin die Vernetzung in der Stadt und Region dazu, vor allem Kooperationen mit anderen Kultur- und Bildungsinstitutionen. Hier präsentiert sich Stuttgart als reiche Kulturlandschaft. Den interdisziplinären Ansatz werde ich auf alle Fälle weiterverfolgen, für das nächste Jahr planen wir beispielsweise eine große Ausstellung zum Thema der «Ekstase in Kunst, Musik und Tanz». Um ein zukunftsfähiges Museum zu haben, werden wir uns auch verstärkt mit der Einbindung verschiedener gesellschaftlicher Gruppen in einen wissenschaftlichen Austausch beschäftigen. In einer Art «Zukunftslab» stelle ich mir vor, dass Museumsmitarbeiter, Besucher sowie externe Fachleute wie Gamedesigner oder Programmierer Formate und Einsatzmöglichkeiten kooperativer Medien entwickeln. Die daraus resultierenden Ergebnisse sollen Besuchern die Möglichkeit geben, sich nicht nur über die Forschung am Museum zu informieren, sondern auch ihr eigenes Wissen, ihre Überlegungen und Ideen einzubringen.