Adele Neuhauser im Gespräch mit Maria A. Kafitz

Durchlässig bleiben fürs Leben

Nr 220 | April 2018

Die Schauspielerin Adele Neuhauser hat ihrer im Verlag Brandstätter erschienenen Biografie nicht ganz grundlos einen sehr markanten Titel gegeben: «Ich war mein größter Feind». Wenn man die Freude hat, sie kennenzu­lernen, würde man jedoch am liebsten gleich ein nächstes Treffen ausmachen, denn nichts Feindliches, sondern viel Wärme, Offenheit und Lebensfreude begegnen einem. Über viele Jahre begeisterte sie vor allem auf deutschen Theaterbühnen und ist nach zahl­reichen Film- und Fernsehproduktionen seit 2010 einem Millionenpublikum als Ermitt­lerin Bibi Fellner im Wiener «Tatort» ans Herz gewachsen.
Im nächsten Jahr wird Adele Neuhauser als Helene Weigel an der Seite von Burghart Klaußner im Dokudrama von Heinrich Breloer über Bertolt Brecht zu sehen sein. Wer kann, sollte sich schon in diesem Jahr einen Abend gönnen, an dem sie mit ihrem Sohn, dem Musiker Julian Pajzs, auf der Bühne steht (www.julianadam.com)!
Wir treffen uns im Café Maria Treu in Wien, und rasch entsteht das, wofür die alte Kaffeehauskultur schon lange berühmt ist: Man sitzt, trinkt Kaffee, plaudert – und die hektische Wirklichkeit weicht in wenigen Minuten zeit­befreiter Gemütlichkeit.

Maria A. Kafitz | Liebe Frau Neuhauser, wir treffen uns an einem meiner Sehnsuchtsorte. Gibt es solche Orte auch für Sie?
Adele Neuhauser | Oh ja! Immer wieder kommen auch neue hinzu – und immer wieder merke ich, dass sie meist mit Menschen verbunden sind. Es sind ja nicht nur die Orte allein, sondern es sind auch bestimmte Energien, die von Menschen aus­gehen, die ich dringend als Nahrung für meine Seele und fürs Aufladen meiner Batterie brauche. Ich sehne mich aber nicht nur nach «Menschen-Orten», sondern auch sehr nach Einsamkeit und Natur. Manchmal denke ich mir: Im Grunde bin ich eine Bäuerin. Am liebsten würde ich Wanderwege markieren, nur mit mir und den Viechern und der Natur sein.

MAK | Sie beginnen Ihre berührende, heiter-melancholische Biografie ja auch mit der Bedeutung, die das Wandern, das Gehen für Sie hat – vor allem das Allein-Gehen, um das eigene Tempo bestimmen zu können. Unabhängig zu sein war schon früh eine Triebfeder für Sie. Woher kommt dieser Freiheitsdrang, der Sie noch heute anspornt?
AN | Ich glaube, das habe ich besonders von den Menschen gelernt, die mich ins Leben begleitet haben. Meine Großeltern – leidenschaftliche Wanderer übrigens – waren für mich sehr, sehr prägend. Natürlich auch mein Vater. Und meine Mutter, die in ihrer Langsamkeit in gewisser Weise dennoch ihren Dickschädel durchgesetzt hat und ihre Sehnsüchte versuchte umzusetzen – es ist nur leider nicht aus allem etwas geworden.
Außerdem gibt es da dieses Wissen, dieses ganz tiefe Wissen über die eigenen Fähig­keiten, das einen sozusagen zwingt, etwas zu tun. Das habe ich früh in mir gespürt. Trotz der dunklen Phasen in meiner Kindheit und Jugend habe ich diesen Motor immer in mir gehabt. Eigentlich weiß ich nicht recht, woher das kommt. Aber ich habe gemerkt, als ich selbst Mutter wurde, wie früh so ein kleines Wesen schon einen eigenen Charakter hat, einen eigenen Blick, eine ganz eigene Energie. Das kann sich nicht erst in diesen neun Monaten gebildet haben; das ist etwas, was in gewisser Weise schon lange angelegt ist. Mein Motor war allerdings auch manchmal für mich erschreckend. Ich habe lange Angst vor meiner eigenen Courage gehabt, vor meiner überbordenden Energie.

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Fotos: © Wolfgang Schmidt | www.wolfgang-schmidt-foto.de | Durch die Bildergalerie geht's per Klick auf die Klammern

MAK | Sie haben Ihrer Biografie den Titel Ich war mein größter Feind gegeben. Was war das Feindliche, mit dem Sie sich selbst begegnet sind?
AN | Eben diese Angst vor mir selbst – und auch die Tatsache, dass ich mir selbst auf unterschiedliche Art und Weise im Weg stand, indem ich einen unglaublich hohen Anspruch an mich und meine Kunst habe ? wenn ich das überhaupt Kunst nennen kann; wir Schauspieler sind ja Ausführende, wir sind ja keine Künstler. Durch diesen überhohen Anspruch war ich eigentlich verurteilt, sowieso immer wieder zu scheitern. Ich hatte so irrsinnig lange das Gefühl: Ich bin falsch und nicht ausreichend, nicht klug genug, nicht elegant genug, nicht damenhaft genug, nicht gewandt genug. Ich musste schon sehr, sehr an mir arbeiten, um mit mir ins Reine zu kommen. Im Rückblick – und das ist das Schöne am Älterwerden – kann man die Zusammenhänge und die Umwege anders einordnen. Heute bin ich froh, dass alles so kompliziert und schwierig und brutal war – auch ich mir selbst gegenüber.

MAK | Und was hat das Schreiben mit Ihnen gemacht? Als Schauspielerin verkörpern Sie ja eine fremde Rolle – im Schreiben aber, besonders wenn es ums eigene Leben geht, mussten Sie ganz bei sich sein und Ihre Sprache, Ihren Klang finden.
AN | Ich habe immer großen Respekt vor Literatur gehabt und vor überhaupt jedem, der aus dem Nichts etwas schaffen kann. Wir Schauspieler haben ja eine Basis, wir haben Material, das uns zur Verfügung gestellt wird. Und daraus bauen wir uns dann einen Charakter und eine Welt, in der wir uns recht geschützt bewegen können. Ich habe mich trotz vieler Anfragen daher auch sehr lange geweigert, mich überhaupt ans Schreiben zu machen, weil ich die Sorge hatte, dass ich dem nicht genüge. Da kam mein altes Ich wieder durch. Aber als ich mich dann entschieden hatte, es zu wagen, war das Schreiben unglaublich erfüllend; es war wie ein Liebesakt, von dem ich nicht gedacht hätte, dass er sich in dieser Art und Weise erleben lässt. Was mich am meisten begeistert, ist diese Einsamkeit und dass man nicht so viel braucht. Ich muss mich nicht schminken, muss mich nicht anziehen, ich kann sogar im Pyjama dasitzen, kann einfach mitten in der Nacht aufstehen – und es geht los.

MAK | In diesen kreativen Prozess brach jedoch erbarmungslos die Wirklichkeit ein. Sie haben innerhalb von nicht ganz zwei Jahren dreifach schmerzlich Abschied nehmen müssen – von Ihrem Vater, Ihrer Mutter, Ihrem Bruder …
AN | Ja – zuerst war überall nur Trauer in mir. Doch ich habe nach diesen Schicksalsschlägen gemerkt, als ich erst mal dachte, es macht jetzt keinen Sinn, wenn ich weiterschreibe, dass dieses Buch für mich eine Riesenchance ist. Denn es ging nicht darum, was andere denken könnten, sondern nur darum, was ich empfinde. Als ich diesen Moment erkannt habe, war klar, dass es für mich jetzt wirklich an der Zeit war, mein Leben und meine Lieben zu beschreiben. So war es immer in meinem Leben: Es kamen immer große Aufgaben auf mich zu, wenn es gerade am schwierigsten war. Wahrscheinlich habe ich diese Aufgaben auch provoziert.
Das Besinnen beim Schreiben war für mich der heilsamste Moment. Ich glaube, ich wäre sonst nicht so schnell und so beglückt aus dieser schweren Trauerphase in eine neue Art von Trauer gekommen. Denn die Trauer ist ja nicht weg. Im Gegenteil. Aber sie ist ein wichtiger Motor geworden – und sie setzt meine eigene Endlichkeit in eine andere Relation. Meine Lebenszeit, die mir noch bevorsteht, zeigt mir eigentlich, dass das, was wir hier auf dieser Erde zu erledigen haben, nur ein Durchgang ist in eine andere Realität. Je bewusster und liebevoller wir diesen Durchgang beschreiben, umso reicher ist das, was wir dann erleben. Das heißt aber nicht, dass wir uns das Leben hier und jetzt verkneifen sollen. Oh nein, ganz und gar nicht!

MAK | Sie haben die Kunst als «Dünger fürs Leben» beschrieben, damit darauf etwas wachsen kann, was unsere Realität immer wieder neu beflügelt.
AN | So ist es! Dass wachsen kann, was wir für nicht denkbar und möglich halten. Das ist genau das, was wir brauchen. Wir brauchen Visionen! Keine Visionen für eine noch schnellere, noch perfektere Welt, sondern solche, die einen Nährboden schaffen für möglichst viele unterschiedliche Lebens­modelle und Gedanken. Das heißt ja nicht, dass man selbst alles unbedingt auch umsetzen und leben muss. Aber wenn man sie einmal gedacht hat, ist schon so viel passiert. Dann ist Energie freigesetzt worden – und zwar positive Energie. Ich versuche, diese Ereignisse solange wie möglich zu halten, so lange wie möglich wach zu bleiben, durchlässig zu sein für das, was es an vielen, vielen
wunderbaren kleinen Zeichen gibt, die dich – bing! – wieder in eine andere Richtung katapultieren. Das kann das Leben! Und das kann die Kunst! Das ist doch eine faszinierende Tatsache.

MAK | Leider sind es aber meist nicht die schönen und leichten, sondern die üblen und trüben Ereignisse, die uns zum Denken anregen.
AN | Richtig. Leider fangen wir erst wirklich an zu reflektieren, wenn etwas nicht stimmt, wenn etwas aus dem Lot gekommen ist, wenn wir mit Schicksalsschlägen konfrontiert werden. Vorher leben wir allzu oft bequem in einer dumpfen Normalität vor uns hin und warten auf die großen Glücksmomente. Die aber Quatsch sind. Denn es geht nicht um das «große Glück», es geht um diese positive, permanente, wunderbare Basis, auf der wir miteinander privat und beruflich immer
wieder etwas erschaffen können. Natürlich mit dem notwendigen Widerstand, den es auch braucht, um herausgefordert zu sein – und dem Vertrauen in die eigenen Fähig­keiten und möglichst wenig Angst vor den eigenen Schwächen.

MAK | An der Seite von Harald Krassnitzer bilden Sie als Bibi Fellner das Ermittlerteam des beliebten Wiener Tatorts. Beruflich kann man das doch durchaus als eine gewisse Form des «großen Glücks» bezeichnen – oder?
AN | Absolut! Ich liebe die Figur der Bibi, und Harry ist für mich ein Liebes- und Lebens- und Spielpartner, wie man sich das nur erträumen kann. Das Tolle aber ist, dass wir das in der Form nicht leben müssen, sondern wir können es in unserer Profession sein. Dadurch haben wir alle Freiheiten der Welt. Das ist ein Glück, das nicht ins Leben zu übertragen ist – Gott sei Dank ?, denn sonst würde es wohl an Qualität verlieren. Wir wissen darum, und wir sind ohne Netz und doppelten Boden unterwegs wie kaum woanders. Das ist wirklich außergewöhnlich, weil wir den anderen ganz so sein lassen können, wie er ist.

MAK | Eigentlich wäre das ein Ideal für die Liebe …
AN | Durchaus. Für Harry und mich ist aber genau das die Qualität, dass wir es nicht ins Leben ziehen. Was wir ins Leben ziehen, ist unsere Freundschaft. Wenn unsere Dreharbeiten vorbei sind, dann sind wir es jedoch in gewisser Weise auch. Aber ich weiß, wenn es wirklich hart auf hart ginge und ich weder ein noch aus wüsste, dann könnte ich ihn anrufen. Er hat mir in vielen schwierigen Momenten der letzten Jahre sehr beige­standen. Ich bin ohnehin sehr dankbar für die lieben Menschen, auf die ich immer bauen kann. In den schweren Phasen habe ich aber vor allem eines für mich gelernt, was mir heute sehr wichtig ist: Gerade wenn ein Problem da ist, das sehr komplex ist, das überwältigend, das unlösbar erscheint, bemühe ich mich, so einfach wie nur möglich zu denken, denn dann komme ich an die Essenz – dorthin, wo es möglicherweise angefangen hat zu kranken – und so auch auf eine mögliche Lösung. Das heißt nicht, dass es mir immer gelingt, aber zumindest ist der Prozess, wenn ich alles Unnötige wegräume, schon so bewusst, dass mir auf dem Weg vieles andere klar wird. Die Einfachheit lerne ich immer mehr an mir zu schätzen. Und ich merke, wie beruhigend es für mich ist, wenn ich möglichst unverfälscht Situationen durchlebe – wie mein Leben dadurch geadelt wird. Das ist für mich Glück!