Iris Paxino im Gespräch mit Ralf Lilienthal

Brücken zwischen hier und dort

Nr 227 | November 2018

Für naturwissenschaftlich geschulte Leser ist das Buch «Brücken zwischen Leben und Tod» im doppelten Sinn eine Herausforderung. Denn es handelt, so der Untertitel, von «Begegnungen mit Verstorbenen» und damit von einem Gebiet, das gewöhnlich dem Glauben vorbehalten ist. Doch zugleich erscheint es so rational und wahrnehmungsgesättigt, dass seine Inhalte nicht ohne Weiteres als «esoterische Fantasien» abgetan werden können. Ralf Lilienthal hat die Autorin des Buches, die Psychologin und Nahtodforscherin Dr. Iris Paxino, in ihrer Stuttgarter Praxis zum Gespräch getroffen und schildert zudem seine Eindrücke und Fragen.

Ralf Lilienthal | Liebe Frau Paxino, wie wird heute mit den Themen «Sterben» und «Tod» umgegangen?
Iris Paxino | Nach wie vor schauen viele Menschen angstbehaftet weg, wenn sie mit diesen existenziellen Themen konfrontiert werden. Aber der Bann scheint gebrochen. Wir kommen mit jeder neuen Generation immer mehr aus der großen Tabuisierung des letzten Jahrhunderts heraus – die Hospiz­bewegung ist nur ein Indiz für diese Entwicklung. Das beobachte ich auch in meiner Praxis. Wenn ich frage: «Spüren Sie Ihren Mann», «Ihre Mutter», «Ihr Kind»? Dann sagen die Menschen: «Ja, ich spüre den Verstorbenen ganz nah.» Oder auch: «Er ist viel zu weit weg.» Fast immer können sie mit meiner Frage Erfahrungen verbinden, die sie ganz real machen.

RL | Dabei reichen die Wurzeln Ihrer intensiven Auseinandersetzung mit dem Thema «Tod» bis weit in Ihre Kindheit hinein …
IP | Ich bin in Rumänien groß geworden. Dort ist der Tod den Menschen viel näher als hier, vor allem auf den Dörfern. Der Leichnam wird zu Hause aufgebahrt, gewaschen und später, im Sarg, durch die Straßen bis zum Friedhof begleitet. Natürlich trauern die Menschen dort genauso wie wir, aber das Sterben gehört zum Leben dazu. Ich hatte sehr feinfühlige Eltern, die ganz selbstverständlich mit der geistigen Welt verbunden waren, ohne dabei je dogmatisch zu werden. Konkret war es dann der überraschende Tod meiner über alles geliebten Großmutter, der dieses Lebensmotiv zum ersten Mal anschlug. Ich konnte es nicht fassen, dass ich sie nicht mehr sehen und berühren sollte. Als sie mir dann eine Zeit lang immer wieder sehr real in meinen Träumen erschien, wurde mir klar: Es gibt Zwischenwelten, Brücken zwischen hier und dort. Und wenn sie, als Verstorbene, zu mir finden kann, müsste ich das doch umgekehrt auch können.

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Fotos: © Wolfgang Schmidt | www.wolfgang-schmidt-foto.de | Durch die Bildergalerie geht's per Klick auf die Klammern

Das Todesthema lässt Iris Paxino nicht mehr los, auch wenn sich ihre biographischen «Koordinaten» verändern. Die Eltern ziehen zuerst nach Griechen­­land und später nach Deutschland. Nach ihrem Abitur studiert sie Literaturwissenschaft, Pädagogik und Psychologie. Sowohl ihre Abschlussarbeit als auch ihre Dissertation widmet die angehende Psychologin der Nahtodthematik – dreieinhalb Jahre durchforscht sie sämtliche zugänglichen Quellen und wissenschaftlichen Arbeiten zu diesem Thema und legt schließlich eine 300 Seiten lange Doktorarbeit vor, inklusive einer auf eigenen Interviews fußenden «kleinen, aber sehr sauberen» Studie. Doch erst die Arbeit im Krankenhaus und später in ihrer eigenen Beratungspraxis weckt das in ihr schlafende Potenzial.
IP | Dabei habe ich festgestellt, dass mir in der Arbeit mit Sterbenden von Anfang an alles sehr vertraut war. Ich konnte das. Es ging nicht um Händchen halten oder Vertrauen zusprechen, sondern darum zu bemerken, dass da «Anwesenheiten» im Krankenzimmer waren, unsichtbare Wegbegleiter – solche, die den Übergang des Sterbenden vorbereiten, und andere, die ihn jenseits der Schwelle empfangen. Auch nach dem Tod war der Patient nicht einfach weg. Er blieb spürbar. Und mir wurde die Notwendigkeit klar, mich auf einen Schulungsweg zu begeben, um solche Prozesse immer bewusster erleben und begreifen zu können.

Die gezielt ergriffene anthroposophisch-meditative Schulung und Rudolf Steiners «sehr konkrete Schilderungen des menschlichen Entwicklungs­weges» ermöglichen Iris Paxino die Vertiefung und Erweiterung ihrer individuell veranlagten Fähigkeiten.
IP | Einzelne Erlebnisse kamen wie eine Gnade zu mir. Aber es war auch klar, dass ich diese Erfahrungen willentlich herbeiführen kann. Durch Meditation, durch jahrelanges Üben, denn das Denken allein reicht nicht aus. Es steckt extrem viel Arbeit und Ernsthaftigkeit darin – und Liebe. Liebe ist der Schlüssel zu allem. Das hat mit Begegnungsfähigkeit zu tun, mit der Bereitschaft hinzuschauen, sich zu öffnen. Alles Soziale muss mit Liebe verbunden sein, wenn es gut werden soll. Das beginnt schon im Alltag und in der Begegnung mit Menschen. Aber es hört an der Schwelle zur anderen Seite nicht auf! Die Meditation ist der Raum, in dem man Begegnungen mit der geistigen Welt stattfinden lässt – mit Elementarwesen, mit Engeln und mit Verstorbenen.

Während Iris Paxino spricht, wird immer deut­licher, dass sie, auf der Basis eigener Erlebnisse, ein Bild entwirft, das nicht nur die naturwissenschaftliche Weltsicht, sondern auch die konfessionell-christlichen Jenseitsvorstellungen transzendiert.
IP | Unsere christliche Kultur hat ein sehr statisches Bild vom Sterben und von dem, was danach kommt. Denn es geht nicht darum, auf die Erlösung zu warten. Auch der Durchgang über die Schwelle und all das Differenzierte, was danach kommt, hat sehr viel mit unseren eigenen Aktivitäten zu tun. Wir sind vorher und nachher verantwortlich für das, was geschieht. Ohne die sehr konkret zu denkenden Begriffe «Reinkarnation» und «Karma» allerdings bleibt dieser ganze Bereich dunkel und unverständlich. Seit meiner Kindheit war mir der Gedanke an die individuelle Wiedergeburt und das persönliche Schicksal immer ganz selbstverständlich. Durch die Anthroposophie konnte ich das noch ver­tiefen. Aber es ist etwas anderes, darüber zu lesen, als es selbst zu erleben. Inzwischen scheinen solche geistigen Tat­sachen nicht mehr ganz so abwegig zu sein. Das hat sich in den letzten Jahren sehr gewandelt. Umfragen sagen, dass etwa die Hälfte der deutschen Bevölkerung heute an Reinkarnation glaubt.

Was gesamtgesellschaftlich zu gelten scheint, eine zunehmende Öffnung für die «Phänomene der anderen Seite», findet Iris Paxino auch in der Arbeit mit ihren Patienten bestätigt, mit Menschen, die keineswegs nur zum engen Kreis der spirituell Interessierten gehören.
IP | Ich arbeite nie als «Medium», als «Hell­seherin», die Botschaften aus dem Jenseits vermittelt. Stattdessen mache ich mit einem Großteil meiner Patienten meditative Übungen, und sie kommen dann selbst zum Erleben ihrer Verstorbenen oder ihres Engels. Dabei wundere ich mich oft, wie viele Menschen bereit sind, diesen Weg mitzugehen. Doch es gelingt tatsächlich, man muss sie nur begleiten. Durch die Erfahrungen des Sterbens eines geliebten Menschen, durch den Schmerz, ist man gelockert und hat die Offenheit für einfache Übungen. Aber es ist wichtig, fest in der Wirklichkeit verwurzelt zu bleiben und klare, unverfälschte Wahr­nehmungen zu haben. Daher steht am Anfang immer die Anbindung an die lichte Kraft des eigenen Schutzengels, der uns stützt und leitet. Eine Kraft, an die man sich immer wenden kann, die etwas Mütterliches, Umhüllendes hat.

RL | Was sind die Gründe, warum Menschen, die mit Todesfällen und Verstorbenen zu tun haben, zu Ihnen kommen?
IP | Der Gedanke, dass es Brücken zwischen den Welten gibt, ist für viele Menschen eine Erlösung. Warum solche Brücken gesucht werden, ist etwas sehr Individuelles. Der eine versteht nicht, warum ein Mensch stirbt, vor allem dann, wenn es um ein unschuldiges Kind geht. Ein anderer kann den Verlustschmerz nicht verkraften. Es kommen Angehörige von Selbstmördern zu mir, die in tiefer Dunkelheit gefangen sind, oder Frauen, die noch Jahrzehnte nach einer Abtreibung mit den Folgen ihrer Entscheidung ringen. Und immer wieder wird die Anwesenheit hängenbleibender Seelen als Bedrängnis erlebt, bis hin zu physischen Erkrankungen.

RL | Was bedeutet «hängenbleiben»?
IP | Jeder Mensch kann auf jeder Stufe seines Lebens in eine Krise geraten. Die kann man nutzen, um einen Entwicklungsschritt zu machen. Aber es kann auch sein, dass man einbricht und nicht wieder herauskommt. Das gilt auch nach dem Tod – denn wir alle tragen Unaufgelöstes über die Schwelle! Wer sehr viel davon mit sich schleppt, un­vorbereitet ist oder angstbesetzt, kann in
seiner nachtodlichen Entwicklung lange Zeit steckenbleiben und dabei etwa seinen Partner belasten, seine Familie oder sein weiteres soziales Umfeld. Solche Verstorbenen müssen dann regelrecht «wegbegleitet» werden, indem man ihnen den Blick in die andere Richtung öffnet.

Hier muss das Gespräch zum Ende kommen. Denn Iris Paxinos Ausblick auf weitere Entwicklungsschritte der Verstorbenen durch die verschiedenen Bereiche der «geistigen Welt» braucht einen längeren Atem, als es das in der Zeichenzahl limitierte Interview erlaubt. Doch selbst dann, wenn sie von sehr «fernen» Sphären spricht, ist der Gedankengang nicht nebulös und wolkig, sondern von einer bestechenden «inneren Logik». Das muss man aushalten können. Und vielleicht sollte man es einmal versuchsweise aushalten wollen – geht es doch um ein Thema, das uns mit jedem abge­-laufenen Lebenstag mehr betrifft …