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Birte Müller

Glück im Glas

Nr 238 | Oktober 2019

Es ist gar nicht so lange her, da habe ich mich immer richtig ertappt gefühlt, wenn andere Mütter vorwurfsvoll zu mir sagten: «Wie – zu so was hast du noch Zeit?»
Ich habe Selbstgenähtes regelrecht verheimlicht, um mich nicht dem Vorwurf ausgesetzt zu sehen, eigentlich doch zu viel Zeit zu haben. Eine berufstätige Mutter zweier Kinder – davon sogar noch ein behindertes Kind –, die überall von ihrer Überforderung und Erschöpfung spricht, hat anscheinend nicht das Recht, zeitraubenden Hobbys nachzugehen. Aber für mich ist das keine geraubte Zeit, sondern es ist geschenkte Zeit! Warum es andere Frauen aggressiv macht, dass ich häkle, ist mir nicht ganz klar. Wahrscheinlich haben ihnen Frauenzeitschriften vermittelt, dass ganz viel DIY – am besten mit Kind – zu einer guten Mutter dazugehört, und sie fühlen sich abgewertet. Aber ich habe schon IMMER gerne gebastelt. Und ehrlich gesagt mache ich das auch heute gerne mal ganz ungestört, wenn meine Kinder schlafen!
Früher hat mein Mann die Augen verdreht, wenn ich um 21 Uhr beginne, Marmelade einzukochen. Er meinte auch, wenn für mich doch ohnehin alles zu viel sei, dann solle ich solche «überflüssigen» Dinge doch einfach weglassen. Heute weiß er, dass ich GENAU das als Ausgleich für unseren kräfteraubenden Alltag brauche. Es stresst mich, wenn die schönen gelben Pflaumen, die da unterm Baum am Wegrand liegen, einfach verrotten. Aber es beruhigt mich, in der Küche zu stehen und bei einer simplen Tätigkeit meine Gedanken schweifen zu lassen.
Es duftet, es schmeckt und ich experimentiere wie immer ohne Rezepte herum. Und ich koche zu viel Marmelade – immer. Auch dazu sagt Matthias nichts mehr. Natürlich verschenke ich auch
einige Gläser, aber am liebsten nur an Leute, die mir kein schlechtes Gewissen machen und selber auch kein schlechtes Gewissen bekommen, weil sie nicht selbst einkochen. Ein bisschen geizig bin ich schon mit meinen Werken – und es schmeckt ehrlich gesagt auch nicht jedem, was ich da manchmal zusammengebraut habe. Darüber, wie gelungen ich selbst meine Kreationen finde, kritzle ich Notizen auf kleine Zettel, die ich dann in den Spalt neben die Kochbücher stopfe. Fürs nächste Mal, wenn ich mich daran erinnern sollte.
In den Tagen nach dem Ein­machen bemale ich mit Olivia die Etiketten, und wir dekorieren die Deckel und essen dabei Unmengen Marmeladenbrote. All das macht mich sehr glücklich. Viel glücklicher, als gekaufte Produkte es jemals könnten. Ich darf den schönen Berg Gläser dann sogar noch tagelang in der Küche stehen lassen, bis Matthias sie wegräumt. Auch daher weiß ich, dass er mich liebt!

In diesem Sommer gab es am Waldrand Stachelbeeren und bei uns zu Hause noch Bananen, die dringend wegmussten. Eine wunderbare Mischung!
Pflaumen oder Kürbis kombiniere ich wild mit Zimt, Vanille, Limone oder Chili. Kommt auch darauf an, was ich im Haus habe. Ich verwende immer Gelierzucker 1:2, sonst wird es mir zu süß.