«Die Welt ist eine Arche Noah auf dem Meer der Ewigkeit, die all die endlosen Paare der Dinge in sich trägt, unvereinbar und untrennbar.» Dies entnehme ich dem Jüdischen Kalender für das Jahr «Fünftausendsiebenhunderteinundsiebzig» – also für die Zeit vom 9. September 2010, dem Beginn des jüdischen Neujahrs 5771, bis zum 28. September 2011, dem Vorabend des folgenden neuen Jahres 5772 –, den Henryk M. Broder und Hilde Recher für den Ölbaum Verlag herausgeben. Das Zitat stammt von der 1923 in New York geborenen jüdischen Fotografin Diane Arbus und wird als Eintrag für den 26. Juli mit einem zweiten Satz fortgeführt: «Und mit der unaussprechlichen Nostalgie, die es gibt, wird sich die Hitze immer nach der Kälte sehnen, und das Hinten nach dem Vorne, und das Lächeln nach den Tränen, und das Nein nach dem Ja.»
Von den Herausgebern erfahren wir, dass Diane Arbus sich in der Welt der Extreme am wohlsten fühlte: «In ihren Werken spielte das Unvollkommene, das Randständige und das Absurde eine zentrale Rolle – selbst dann, wenn sie schlichte Alltagsszenen ablichtete. Der Erfolg war auf ihrer Seite, sie arbeitete für alle großen internationalen Magazine … vor 40 Jahren, am 26.07.1971, nahm sich die von Depressionen geplagte Fotografin in New York das Leben.»
In einer anderen Art von Kalender, dem Almanach Weisheit und Liebe – Erfahrungen des Geistes Tag für Tag von Rudolf Steiner, den ich für den Futurum Verlag herausgegeben habe, lese ich erneut den Anfang des Eintrags für den 10. Juli: «Liebevoll das Leben ergreifen und nicht philiströs Zusammenhänge ablehnen, die keine andere Bedeutung haben, als dass sie eben weit auseinander Liegendes zusammenfassen, nur um das Ich zu bereichern, das bringt uns Stärke.»
In den letzten Jahren ihres Lebens hegte Diane Arbus den Gedanken, ihr fotografisches Werk in einem neuartigen «Familienalbum» gipfeln zu lassen, wobei sie allerdings auch die Überzeugung vertrat, dass alle Familien irgendwie unheimlich seien – «all families are creepy in a way»!
Ich frage mich nun bei so weit auseinander Liegendem, das zur Stärkung des Ich zusammengefasst werden sollte, und bei all den endlosen Paaren der Dinge, die die Welt als Arche Noah bergen
sollte, zu welchem Paar ein jedes menschliches Ich wohl gehören kann …!?
Dass Sie, liebe Leserinnen und Leser, viel Stärkendes erfahren mögen, wünscht Ihnen
Ihr Jean-Claude Lin