Rating – ein gefürchtetes und magisches Wort. Es bezeichnet die Einschätzung der Bonität eines Schuldners. Privatleute werden von der Schufa geratet. Unternehmer hoffen, dass ihr Rating bei der Hausbank so günstig ausfällt, dass sie den dringend benötigten Kredit bekommen. Doch auch ganze Staaten werden auf ihre wirtschaftliche Solidität hin beurteilt. Nicht nur Griechenland, Irland oder Portugal mussten eine erhebliche Herabstufung ihrer Bonität durch die internationale Ratingagenturen wie Moody’s und Fitch akzeptieren, sogar Riesen wie den USA droht dasselbe Schicksal.
So unangenehm es ist, dieses Rating ist nur ein Spiegel der Tatsache, dass ein wirtschaftlicher Organismus – ein Haushalt, sei er privat oder öffentlich – über seine Verhältnisse lebt und nicht gesund ist. Die Agenturen, die die Einstufung vornehmen, sind zwar nicht in der Lage, das Übel zu kurieren, doch sie geben immerhin eine glasklare Diagnose der Krankheit.
Manchmal frage ich mich, ob nicht irgendwo auch so etwas wie ein Rating der Menschheit an sich stattfindet. Und zwar ein ethisches. Könnte es nicht sein, dass irgendwo im Kosmos eine Instanz darauf blickt, wie wir miteinander und mit der Schöpfung umgehen?
Eine «Ethikkommission», die unsere Taten und Unterlassungen registriert, auswertet und dann knallhart die Diagnose stellt? Wie groß ist wohl die Halbwertszeit, die uns noch bewilligt wird? – Ich vermute, dass unser Menschheits-Konto ein gehöriges Soll aufweist. Wir leben seit Langem in vielen Bereichen und in großem Stil über unsere Verhältnisse. Das Wort «Soll» ist die Übersetzung von «Debet», vom lateinischen Verb «debere», was «schulden», interessanterweise aber auch «verdanken» heißt. Wir Menschen sind demnach nicht nur Schuldner, sondern auch «Verdanker». Denn es gibt eigentlich nichts, was wir nicht irgendwem, irgendetwas verdanken. Das heißt: Jede Schuld ist zugleich eine Chance; man könnte auch sagen: ein Kapital, das erst noch erwirtschaftet werden will.
Hier eröffnet sich vielleicht ein Lichtblick. Denn es würde die roten Zahlen auf unserem ethischen Konto mit Sicherheit vermindern, wenn es uns gelänge, aus dem Bewusstsein zu leben und zu handeln, dass wir nur dadurch existieren, weil an anderer Stelle im Weltganzen etwas dafür geopfert wurde.
Vielleicht könnte diese Einsicht verhindern, dass wir in den moralischen und humanitären Bankrott schlittern?
Einen schönen Sommermonat August wünscht
Frank Berger