Das Leben birgt viel mehr Sinn, als uns meist bewusst ist. Doch ihn zu finden, erfordert Aufmerksamkeit und – ja auch: Phantasie. Selten lässt sich der Sinn eines Augenblickes, eines Ereignisses oder einer Lebenszeit passiv, ohne unser inneres Zutun, einfach so auffinden. Er muss realisiert werden,
sagen die Engländer, und das heißt wörtlich: verwirklicht, in die Wirklichkeit des aufmerksamen und schöpferischen, denkenden Bewusstseins geholt werden.
Vor fünf Jahren machte ich mich auf den Weg zur Frankfurter Buchmesse – mit schwerem Koffer. Ich ging zu Fuß zur U-Bahn und es fiel ein starker Regen. Auf meinem Weg kam ich an einem Walnussbaum vorbei mit übergroßen, schönen Walnüssen. Am frühen Morgen lagen etliche von ihnen dank des Regens und nächtlichen Windes auf der Straße. Bald würden sie den schweren Autoreifen zum Opfer fallen. Schon ziemlich durchnässt schleppte ich mich mit dem schweren Koffer vorwärts. Aber ich hielt dennoch inne. Sammelte einige der wohlgeformten Walnüsse ein und setzte mich kurze Zeit später in die U-Bahn. Ich musste über mich schmunzeln. Das kleine Ereignis aber gab dem ganzen grauen, nassen Tag Licht und Wärme.
Später fasste ich das unscheinbare Geschehen, das nur allzu leicht gar nicht stattgefunden hätte, in drei kurzen Zeilen nach Art eines japanischen Haiku zusammen. Und vielleicht könnte dies ein Fall für Mark Riklins «Meldestelle für Glücksmomente» sein:
Mit schwerem Koffer
im Regen – zwei Taschen voll
nasser Walnüsse.
Ihnen wünsche ich viele glückliche Reisen im Regen!
Ihr Jean-Claude Lin