Mach in Ruhe. Alice hatte sich geärgert, wenn Raymond ihr das gesagt hatte, heißt es in Judith Hermanns letzter Erzählung «Raymond» ihres zuletzt erschienenen Buches Alice. Vom Abschied erzählen die fünf mit Männernamen betitelten Geschichten – Micha, Conrad, Richard, Malte und Raymond – vom Sterben und vom Tod, und doch auch vom Leben. Vom Bleiben im Leben von Alice. Wie der kleine Zettel, den Lotte sich neben die Tür gehängt hat, auf dem Conrad geschrieben hatte: komme gleich wieder.
«Saturn steht in meinem Siebenten Haus», erklärt «der Rumäne», der Alice und Anna nach Italien begleitet, um Conrad und Lotte zu besuchen. «Das Siebente Haus ist das Haus der Türen. Durch die die Menschen zu dir kommen und von dir weggehen. Die Planeten laufen langsam, aber sie machen ihre Transite, und dann ändert sich dein ganzes Leben.» Dieses «Haus der Türen» kann als Leit- oder genauer gesagt untergründiges Motiv von Judith Hermanns Buch Alice empfunden werden.
Im Erinnerungslicht des Saturns lernt ein Mensch allmählich staunen über die eigene Existenz und das eigene Leben. Es mag nüchtern anheben, wie bei Alices Feststellung: «Und aber dass ich hier bin, ändert nichts daran, dass Micha stirbt.» Doch im Fortgang wächst aus dieser Nüchternheit ein Staunen und daraus auch eine Kraft der Ergebenheit, die Präsenz dort wahrnimmt, wo Verlust vorhanden ist. Dafür aber braucht es die Ruhe im eigenen Tun und Machen.
Die Bilderbuchkünstlerin Daniela Drescher nennt es in unserer Reportage «beherzte Beharrlichkeit». Das verbindet die ansonsten sehr unterschiedlichen Künstlerinnen Judith Hermann und Daniela Drescher. – Und Raymonds Aufforderung gilt nicht nur für Alice.
So grüßt von Herzen, Ihr
Jean-Claude Lin