Liebe Leserinnen, liebe Leser,
Gelegentlich hat es Kritik gegeben, wenn an dieser Stelle eine Überschrift in englischer Sprache gestanden hat. Aber, wie anders wären die Nuancen, wenn es hier hieße: Deutschland, Deutschland! Nein, es geht hier und jetzt nicht um Nuancen. Der ganze Sinn wäre ein anderer. Hier erklingt der Ruf nicht von Deutschland aus in die Welt hinein. Hier erklingt er von außerhalb der Grenzen Deutschlands – und auch nicht mit stolzer Brust, sondern aus schierer Verzweiflung – um Hilfe flehend. Tausende und Abertausende Männer, Frauen und Kinder haben sich auf den Weg gemacht, um in Europa, aber hauptsächlich eben in Deutschland, eine neue Heimat zu finden, die ihnen wieder ein Leben in Frieden und Sicherheit geben kann. Sie fliehen um ihr Leben; lassen Hab und Gut hinter sich und hoffen, in Deutschland ein gelobtes Land zu finden.
Deutschland hat jetzt die Möglichkeit zu zeigen, dass eine hochentwickelte technisierte, industrielle Gesellschaft sehr wohl in der Lage ist, vielleicht eine Million und mehr Flüchtlinge aufzunehmen und zu integrieren – nicht nur einen Herzenssinn für Not und Leid zu demonstrieren, sondern die erstaunliche Leistungsfähigkeit dieses Landes auch praktisch mildtätig auszuüben. Und wie viel sinnvoller ist die Verwendung von Steuergeldern und Ressourcen für die Bewältigung dieser Aufgabe, als sie zur Ausbesserung des Debakels auf den Finanzmärkten der letzten Jahre einzusetzen, auch wenn dies im Nachhinein durchaus notwendig geworden ist! Das historische Gewissen, das sich seit der Katastrophe des Dritten Reiches in Deutschland gebildet hat, könnte als Keim eines tatkräftigen humanitären Gewissens in der Welt wirken. Deutschland hat nicht nur eine neue Aufgabe. Deutschland hat eine Mission: nicht Fluch, sondern Segen zu sein, solange dies erfragt und erfleht wird. Und Deutschland sind alle, die hier leben und arbeiten. Die Bundeskanzlerin hat recht gefühlt: Wir schaffen das. Wir schaffen das, wenn wir es miteinander wollen – und tun!
Von Herzen grüßt Sie in diesem, historisch gesehen so deutschen Monat November,
Jean-Claude Lin