Wie habe ich innerlich gejubelt, als ich vor elf Jahren bemerkte, dass das chinesische Schriftzeichen, das die Japaner verwenden, um das Wort doku in sudoku zu schreiben, das Schriftzeichen für «Hund» enthält! Doku heißt so viel wie «einzel/Einzelne», «einsam/Einsamer»; und su heißt «mehrere» oder «einige» oder «eine Anzahl». Also konnte ich in dem Namen, den der 1951 geborene japanische Rätselkomponist und Verleger Maki Kaji für das unter seiner Federführung wiedergeborene Zahlenrätsel erfand, das wir heute als Sudoku kennen, eine verborgene Bedeutung lesen: «mehrere einsame Hunde».
Es ist gerade die Forderung, dass die Zahlen von 1 bis 9 in jeder Zeile und jeder Spalte und jedem der neun 3 x 3 Quadrate in dem 9 x 9 Kästchenraster nur ein einziges Mal vorkommen sollen, die es möglich macht, aus einigen wenigen wohlgesetzten Zahlen alle anderen nicht angegebenen Zahlen, die zum Sudoku gehören, bestimmen zu können. Maki Kaji und sein Team von Rätselkomponisten beim japanischen Nikoli Verlag fügten dem Zahlenrätsel aber nicht nur den Namen Sudoku hinzu, sondern gaben ihm durch die symmetrische Anordnung der Ausgangszahlen eine besonders «sinnliche» Erscheinungsform. So verhalfen sie dem bis dahin nur wenigen Rätselkennern bekannten Zahlenrätsel zur weltweiten Beachtung und bestätigten eine Einsicht des deutschen Dichters und Denkers Friedrich Schiller. Im 18. Brief seiner Erörterungen Über die ästhetische Erziehung des Menschen nämlich schreibt der tiefblickende Nacht- und Novembermensch:
«Durch die Schönheit wird der sinnliche Mensch zur Form und zum Denken geleitet; durch die Schönheit wird der geistige Mensch zur Materie zurückgeführt, und der Sinnenwelt wiedergegeben.»
Friedrich Schiller ist zuweilen in seinen dunkelsten, aber auch schöpferischsten Phasen seines Lebens ein «einsamer Hund» gewesen. Aber wie schön ist es, wenn solche einsamen Hunde mit anderen ebenso einsamen sich finden und zusammentun können! Auch das zeigt ein schön komponiertes Sudoku.
Bei Drucklegung dieser Ausgabe unseres Lebensmagazins sind die 200 Gewinnerinnen und Gewinner unseres Sudoku-Rätsels zur 200. Ausgabe von a tempo im August bereits gezogen und benachrichtigt worden. Bis zum Einsendeschluss am 9. September hatten 1809 Menschen teilgenommen: 1243 Frauen, 487 Männer und 79 weitere Menschen, die keinem Geschlecht zugeordnet werden konnten. Warum ausgerechnet die Frauen in der Überzahl sind? Fühlen sie sich dem Schillerschen Diktum so viel näher als die Männer? Oder sind sie eifriger in ihrem Streben nach geistiger Bildung? Wie dem auch sei – es war schön, dass so viele mitgemacht haben, darunter mindestens zwei 90-Jährige und einige, die zum ersten Mal ein Sudoku lösten. Mögen wir in diesem Sinne «einsame Hunde» schätzen und genießen, besonders wenn sie es schaffen, in schöner Anordnung zusammenzuwirken!
Von Herzen grüßt Sie, Ihr Jean-Claude Lin