Liebe Leserin, lieber Leser
«Nichts im Leben ist einseitig», betont Werner Schretzmeier, der zusammen mit seiner Frau Gudrun und Peter Grohmann vor 33 Jahren das Stuttgarter Theaterhaus gründete. «Und die Kultur sollte es schon gar nicht sein», setzt er fort, wie wir in dieser Ausgabe unseres Lebensmagazins lesen können. Manchmal vergessen wir – oder missachten gar – dieses Grundgesetz des Lebens und verrennen uns in die Enge und Atemlosigkeit der
Einseitigkeit. Dann brauchen wir die Weite und Andersartigkeit der Kunst – und vor allem der anderen Menschen.
So weiß die Malerin und Zeichnerin Daniela Drescher von einer Quelle zu berichten, «die immer reicher wird, je mehr wir daraus schöpfen». Jeder Mensch kann eine solche Quelle in sich selbst entdecken, wenn ihm die Kraft der Fantasie nicht eingeschläfert oder zugeschüttet wird. So möchte Daniela Drescher durch ihre Illustrationen die Kraft der Fantasie gerade im Kind anregen und fördern, denn sie gibt dem Menschen Leben und Vielfalt.
In besonderer Weise entdeckte die Schriftstellerin Christa Ludwig diese lebensspendende Quelle als 14-Jährige in den Gedichten Else Lasker-Schülers und von da an immer wieder, wenn sie sich in deren Verse und Rhythmen, Reime und Bilder vertiefte. Erst allmählich, nach 20-jähriger Beschäftigung mit dem Leben und Werk der am 11. Februar 1869 in Elberfeld geborenen und am 22. Januar 1945 in Jerusalem verstorbenen deutsch-jüdischen Dichterin, reifte die Möglichkeit, die letzten zwei Jahre dieses von Fantasie so durchwobenen Lebens in ihrem Roman Ein Bündel Wegerich zu beschreiben und dadurch die Liebe einer alten Frau für einen jungen Mann zu verstehen. Denn erst die Liebe ermöglichte es, ein Liebesgedicht zu schreiben, wieder etwas hervorzubringen aus der Vielfalt des Lebens und zur Vermehrung dieses so wunderbaren Ortes unserer Heimat.
Dass eine jede und ein jeder von uns solche Orte der Vielfalt kennenlernen möge und immerzu aufsuchen darf, wünscht von Herzen, Ihr
Jean-Claude Lin