Das rätselhafte Verschwinden einer römischen Legion nördlich des legendären Hadrianwalls inspirierte die britische Jugendbuchautorin Rosemary Sutcliff zu ihrem bekanntesten Werk, Der Adler der Neunten Legion, das seit seinem Erscheinen in den fünfziger Jahren über eine Million Leser gefunden hat. Mehr noch als die Geschichte der verschollenen, fünftausend Kämpfer umfassenden römischen Armee, die im nordbritannischen Hochland ein mysteriöses Ende fand, steht die Annäherung zweier verfeindeter Kulturen im Vordergrund – versinnbildlicht in der ungewöhnlichen Freundschaft zwischen dem ehemaligen Centurio Marcus und seinem keltischen Sklaven Esca.
Die in den Kinos (und nun auch als DVD) gestartete Adaption des Stoffes bietet eine willkommene Gelegenheit, den historischen Klassiker neu zu entdecken. Eine der besonderen Qualitäten der Vorlage, die große Authentizität und Faktenkenntnis, findet sich auch im Film des Oscar-Preisträgers Kevin Macdonald (Ein Tag im September) wieder, der die Zeit der römischen Besatzung von Britannien in düsteren, dokumentarisch anmutenden Bildern auferstehen lässt.
Wir begegnen dem ehrgeizigen Kommandeur Marcus (gespielt von Channing Tatum), der sein Amt nach einer im Kampf erlittenen Verletzung aufgeben muss und sich im Haus seines Onkels Aquila (Donald Sutherland) erholt. Als ihn die Kunde erreicht, dass der
goldene Adler, die Standarte der besiegten Neunten Legion, irgendwo im Norden gesichtet wurde, bietet sich ihm die Gelegenheit, den Adler zurückzuholen und damit auch mit der Vergangenheit seiner Familie abzuschließen. Denn es war sein eigener Vater, der die Neunte Legion einst anführte und mit ihr für immer verschwand. Gemeinsam mit Esca (beeindruckend: Jamie Bell), der sich als Einheimischer im Norden gut auskennt, will Marcus das waghalsige Abenteuer eingehen und zur Expedition jenseits des Hadrianswalls aufbrechen. Dorthin, wo nach römischem Verständnis die barbarischen Stämme wüten.
An schönen Landschaften, eindrucksvollen Bauten und Kostümen fehlt es der Verfilmung ebenso wenig wie an effektvoll inszenierten Schlachten, die von einer fiebrigen Handkamera eingefangen werden und das Gefühl erzeugen, sich selbst im dramatischen Geschehen zu tummeln. Einige wesentliche Aspekte der literarischen Vorlage werden jedoch zugunsten einer simplifizierten Darstellung unterschlagen. Während die Rolle der Neunten Legion bei Rosemary Sutcliff äußerst ambivalent gezeichnet ist, dominiert im Film ein weitgehend unreflektiertes Heldenpathos.
Die philosophischen Überlegungen zu der unterschiedlichen Lebensauffassung der Römer einerseits, die einem von Disziplin und strenger Ordnung dominierten Leitbild folgen, und andererseits den freiheitsliebenden Naturvölkern Britanniens spielen in Macdonalds Umsetzung keine Rolle. Im Gegenteil, nördlich des Walls regieren geifernde und blutrünstige Stämme wie das Volk des Robbenprinzes, das vor nichts zurückschreckt und mit seinen Irokesen-Frisuren eher nach einer Punkrock-Band aussieht. Reizvolle inhaltliche Elemente wie die Aufzucht eines Wolfswelpen durch Marcus oder seine Freundschaft zum alles Römische verachtenden Nachbarsmädchen Cottia fallen in der Umsetzung leider auch unter den Tisch. Besser also, man spart sich die Kinokarte oder das Geld für die DVD und gönnt sich zu Hause ein paar weitaus spannendere Lesestunden.