Im DuMontVerlag ist eine neue Anthologie zur Anthroposophie erschienen, Anthroposophische Perspektiven, herausgegeben von Manon Haccius und Götz E. Rehn. Nach der Fülle der Publikationen im vergangenen Jubiläumsjahr mag sich der ein oder andere Leser leise fragen: brauchen wir das – schon wieder eine weitere Erklärung, Erläuterung dessen, was Geisteswissenschaft ist oder sein will? Die Frage ist berechtigt, doch wer das Buch zur Hand nimmt, der wird sogleich eine positive Antwort erfahren. Was diese Perspektiven so brauchbar macht, das ist ein ganz neuer Ansatz in der Darstellung und Fortschreibung der Anthroposophie.
Es ist weder Erklärbuch, noch Verteidigungsschrift und schon gar keine anthroposophische Bedienungsanleitung, die hier vorliegt, sondern ein richtig praktisches Handbuch der Erfahrung und des individuellen Umgangs mit den spirituellen Arbeitsimpulsen.
Dies wird bereits in der Einleitung deutlich, in den Worten des Herausgebers: «Die in diesem Band vorgestellten zwölf Perspektiven zu verschiedenen Themen zeigen, wie sich eine Geisteswissenschaft für Menschen in der Praxis auswirkt.»
Die Originalität dieser Darstellung beruht darauf, dass eine Brücke geschlagen wird zwischen dem Schriftwerk Rudolf Steiners und den konkreten Lebensfeldern der Anthroposophie, die anders erscheint als gewöhnlich. Was wir kennen, ist die reflektierende sachliche Bezugnahme – so wird eins aus dem anderen erklärt; hier jedoch geben Menschen umstandslos Auskunft aus ihrem biographischem Selbstverständnis. Wie sie selbst Anthroposophie am eigenen Leib in ihren jeweiligen Tätigkeitsgebieten erfahren.
Die Rückbesinnung auf die Formulierungen Rudolf Steiners kommt dann ganz ohne den Gestus der Selbstvergewisserung, oder -rechtfertigung aus. Sie erfolgt aus «situativer Autonomie», wie Karl-Martin Dietz, das in seinem Beitrag nennt.
Es sind wunderbar klare Sätze in diesem Kompendium zu finden: «Die Philosophie der Freiheit zeigt auf, wie dem Gefängnis der subjektiven Befindlichkeit ebenso zu entkommen ist wie der Gefangenschaft im Prinzipiellen» (K.-M. Dietz). Einen solchen Satz kann nur verantworten, wer die ihm zugrundeliegende Erfahrung gemacht hat. Die vielfarbige Darstellung der verschiedenen Autoren liest sich wie eine Art geistiges Tagebuch, immer verortet im individuellen Leben.
In zwölf Kapiteln werden die Perspektiven der jeweiligen Praxisfelder auf wenigen Seiten vorgestellt. Dabei werden nicht nur Wirtschaft, Landwirtschaft, Pädagogik oder Medizin als praktisches Gebiet behandelt, sondern ebenso Entwürfe zur Kunst, Freiheit, Religion oder generell zur Naturwissenschaft als praktische Fragestellung aufgefasst.
Jedem Kapitel ist eine kurze Übersicht vorangestellt, darin bringt die Herausgeberin Mannon Haccius, in bemerkenswert bündiger Form das jeweilige Thema auf den Punkt.
Dieses Buch liest sich spannend und unterhaltsam wie eine Erzählung von den Lebenskräften der Anthroposophie. Der transparente und lebendige Informationsfluss spricht für sich selbst, was die Vitalität der Quelle angeht.
Geisteswissenschaft als Wirklichkeitserfahrung – davon kann man natürlich nie genug bekommen.