Vergessen Sie alles, was Sie über Nürnberg wissen – und erinnern Sie sich! Vergessen Sie die Reichsparteitage und was damit
zusammenhängt – und erinnern Sie sich an den Deutschen, der vor 500 Jahren seiner Zeit den Namen gab. Wir sprechen von
der «Dürer-Zeit» in dem Sinne, wie wir von der «Goethe-Zeit» sprechen. Der Künstler sollte – im Sinne Schillers – nicht tun, was «in» ist, er sollte vielmehr seine Zeit prägen als Mitarbeiter des Zeitgeistes. Das tat Albrecht Dürer (21. Mai 1471 – 6. April 1528) in höchstem Maße.
Die historische Innenstadt Nürnbergs wurde 1945 dem Erdboden gleichgemacht. Zurück blieb ein riesiger Schutthaufen, Zeichen kommender Apokalypsen. Aber Dürer überlebte. Er hat sich in die Ewigkeit eingezeichnet und eingemalt. Dürer ist unvergänglich. Als er 1496 von seiner ersten Italienreise zurückkam, brach es aus ihm heraus: die Apokalypse in fünfzehn Visionen. Ja, ich sage Visionen, denn er hat nicht nur die Johannes-Apokalypse illustriert, er hat sie kongenial neu hervorgebracht in großen Holzschnitten, von denen ein Kunsthistoriker sagte, sie gehören zu den «Unausweichlichen» wie Leonardos Abendmahl. Zu den Werken also, an denen man nicht vorbeikommt, ohne von ihnen im Innersten ergriffen zu werden.
Leonardo! Leonardo hat Dürer gesucht und Raffael gefunden – damals, erinnern Sie sich, als er gegen Ende des Jahres 1506 von Venedig nach Rom geritten ist. Der Weg führte ihn über Florenz. Aber Leonardo war in Mailand. Die Gesellen konnten ihm nur Zeichnungen vorlegen, deren Nachklang sich im «Fünftage-Bild» findet: der zwölfjährige Jesus unter den Schriftgelehrten.
Immerhin war der junge Raffael in Florenz, und die Begegnung der beiden Großen führte im Nachhinein zum Bilderaustausch. Wem, wenn nicht einem Freund, schickte Dürer ein Selbstbildnis? Der ewig junge Raffael hat es in seiner Vertreibung Heliodors verwendet. Auch darum können Sie die beiden Repräsentanten der südlichen und der nördlichen Malerei entdecken, wenn Sie die Eingangshalle des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg betreten und schräg nach links blicken. Die beiden gehören wirklich zusammen.
Vergessen Sie die Schutthaufen! Die Kirchen sind wieder aufgebaut. Blicken Sie in die Zukunft, die sich aus der Erinnerung an Dürer eröffnet. Die Zukunft heißt Dürer!
Die derzeitige Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum zeigt den jungen Dürer in seiner Umwelt bis ungefähr zur zweiten Italienreise (1505). Zurecht erwarten Sie die faszinierenden Selbstbildnisse von 1493 (Paris), 1498 (Madrid) und 1500 (München). Diese frühen Meisterwerke werden in der Ausstellung zwar diskutiert und auch im umfangreichen Katalog abgebildet – aber die Originale suchen Sie vergebens. Auch das große Glasgemälde, nach Dürers Entwurf, aus der Straubinger Jakobskirche durfte – obwohl zur Zeit ausgebaut – nicht auf Reisen gehen. Darum werden Sie etwas länger verweilen vor dem hervorragend präsentierten Apokalypse-Zyklus und dem Highlight aus Florenz: Die Anbetung der Magier. Dieses Gemälde, das in Nürnberg im Auftrag Kurfürst Friedrichs des Weisen von Sachsen 1504 entstand, schuf Dürer mit italienisch anmutenden Farben. Diese Flut leuchtender Farben ist Erinnerung an und Sehnsucht nach Venedig zugleich. Vor diesem Bild können Sie sich in zahlreichen Details verlieren, aber auch in den Tiefen schwer zu entschlüsselnder Symbolik. Bäume, die auf ruinösen Mauern wachsen! Ein Bild voller Rätsel – wie der ganze Dürer, der uns heute noch so betroffen macht wie seine Zeitgenossen vor 500 Jahren!
Zum Bild: Erstmals seit über 400 Jahren sind die Bildnisse von Dürers Eltern wieder vereint. Das Bildnis der Mutter stammt aus dem Germanischen Nationalmuseum, das des Vaters kommt aus den Uffizien in Florenz (beide um 1490).