Ewald Koepke legt hier ein neues Werk vor, das ein Thema zum Gegenstand hat, das er seit Jahrzehnten versucht, aus der Anthroposophie heraus in seiner Tiefe zu erfassen: Das künstlerische Schaffen der Menschheit. So hieß sogar ein kunstgeschichtliches Werk, das der Maler und Schauspieler 1986 herausbrachte, in welchem die Keime zu dieser neuen Veröffentlichung bereits lagen. Behandelte die erste Arbeit vornehmlich das künstlerische Schaffen vom Gesichtspunkt der Bewusstseinsentwicklung der Menschheit, so widmet sich dieses Werk, neben tiefsinnigen kunsthistorischen Betrachtungen, primär einer aus bestandener Schwellenprüfung entstehenden, geistgeschöpften Kunst. Ähnlich wie der Maler Johannes Thomasius im achten Bild von Rudolf Steiners Mysteriendrama Die Pforte der Einweihung mit der Aussage zitiert wird, dass er sein Kunstschaffen der Gabe verdankt, bewusst in anderen Welten zu empfinden und dass er nichts in seine Werke legt, was er nicht erst im Geist erschaut.
Um dieses nach wie vor aktuelle Problem einer spirituellen Auffassung der Kunst geht es Koepke in den zehn aphoristischen Betrachtungen dieses aufwändig ausgestattenen Buches – und in den Kommentaren zu den zahlreichen Abbildungen, die den Leser von der paleolithischen Vorzeit bis in das 21. Jahrhundert begleiten.
So lauten die vielsagenden Überschriften: «Was ist Kunst?», «Auf sich selbst zurückgewiesen», «Entwicklungsstufen», «Untergang oder Aufgang?», «Das Erlöschen der Tragödie», «Wiedergeburt und Schicksal», «Die neue Mysterienstätte», «Der Menschheitsrepresentant», «Das schöpferische Ich» und «Keimlegung».
Diese Betrachtungen, fußend auf der von Rudolf Steiner inaugurierten Kunstanschauung, sind Erfahrung, Bekenntnis und Programm zugleich.
Die Erfahrung des Verfassers, die den Duktus des ganzen Werkes durchzieht, gibt dem sprachlich dichten Sinnen über die einzelnen Kunstepochen eine besondere biografische und menschlich bereichernde Note.
Das sehr deutliche Bekenntnis zu einer Kunst, die nur dann einer gesunden Entwicklung entgegengeführt wird, «wenn das im Ich auferstehende Hellsehen das Kunstschaffen von innen wieder belebt und befruchtet» (S.101), schafft naturgemäß Abgrenzungen und Bewertungen, an deren spirituell unteren Stufen wir hier u.a. Picasso, Braque oder Duchamp vorfinden, während beispielsweise die Bestrebungen von Marc, Kandinsky, Mondrian, Beuys, aber auch von unmittelbaren Zeitgenossen wie Eliasson oder Cragg auf höherer Ebene angesiedelt sind. Das ist der Teil des Buches, der angesichts manch heutiger Tendenz zu durchaus kontroversen Stellungnahmen führen dürfte.
Und das Programm – oder auch Urbild und Ziel – wird sehr eindringlich in den letzten Kapiteln dargestellt, indem an Hand von Aussagen Rudolf Steiners zu Kunst und Kunstschaffen und Gedanken über das erste Goetheanum mit der Statue des Menschheitsrepräsentanten das Bild einer Kunst aufleuchtet, deren Aufgabe wahre Heilung vom Bösen zum Guten ist, als eine «Keimlegung der Geistselbstkultur».
Sind die Erfahrungen des Autors ein biographisches Geschenk und geben seine Bekenntnisse Anregungen und reichlichen Gesprächsstoff, so ist das von Koepke entworfene Programm eine aktuelle und begeisternde Aufgabe.
«Und so wurde mir zunehmend bewusst, dass Anthroposophie in keinem Fall eine Wiederbelebung der Vergangenheit sein kann.» Ewald Koepke