Vierunddreißig Jahre nach dem tödlichen Unfall am 4. Januar 1960 im Wagen des Verlegers Michel Gallimard erschien das Werk, an dem Albert Camus zuletzt arbeitete. Seine Tochter, Catherine Camus, schrieb zur Erstausgabe des Manuskriptes 1994: «Es besteht aus 144 mit der Hand in einer eiligen, schwer entzifferbaren Schrift heruntergeschriebenen Seiten, manche ohne Punkt und Komma, die nie überarbeitet wurden.» Albert Camus, der am 7. November 1913 in Mondovi in Algerien als zweites Kind geboren wurde und somit im Januar 1960 noch keine 47 Jahre alt war, schien es eilig zu haben, sein jüngstes in Romanform gefasstes Werk, das weitgehend autobiografisch ist, niederzuschreiben. In einer der Notizen zu dem entstehenden Buch heißt es bezeichnenderweise: «Genaugenommen werde ich von denen sprechen, die ich liebte. Und nur davon.»
In diesem letzten Buch, Der erste Mensch, greift Camus noch unverhüllter als in jedem anderen seiner Werke den Faden seiner eigenen Biografie auf. Und wie Goethe, der einmal feststellte: «Der ist der glücklichste Mensch, der das Ende seines Lebens mit dem Anfang in Verbindung setzen kann», fügt Camus seiner oben zitierten Notiz hinzu: «Tiefe Freude.» So beginnt Der erste Mensch mit der Geburt des Protagonisten Jacques Comery an einem Novemberabend des Jahres 1913 in Algerien, und im Verlauf der Geschichte wird auch von der Suche nach dem Vater erzählt, der, wie Camus’ eigener Vater, in den ersten Monaten des Ersten Weltkrieges 1914 gefallen ist.
In dem von ihr herausgegebenen Band Albert Camus in Bildern & Dokumenten hat Catherine Camus, die erst 14 Jahre alt war, als ihr Vater ums Leben kam, versucht, sein Leben zu veranschaulichen. Es ist ein trügerisches Unterfangen, wie sie meint, «denn ein Leben ist Bewegung, Zweifel, Widerspruch. Ein Leben ist mitreißend.» Und er, Albert Camus, «war das Leben selbst». – Gerne blickt und liest man in diesem großen Bildband.
Zu den vielen Fotografien, die ihn natürlich immer wieder mit der charakteristischen Zigarette im Mund oder in der Hand zeigen, hat die Herausgeberin viele sprechende Stellen aus Camus’ Werken wie auch Zitate von Zeitgenossen hinzugesetzt. Selbst die böswillige Häme, die anlässlich der Bekanntgabe am 17. Oktober 1957, dass Albert Camus der Nobelpreis für Literatur verliehen werden sollte, geäußert wurde, ist aufgenommen. Da Camus 1957 seinen Höhepunkt als Schriftsteller längst überschritten habe und er selbst am Ende sei, wäre die Entscheidung des Nobelpreis-Komitees nachvollziehbar … Die Urheber der Häme meinten ein anderes Ende, aber das Ende kam tatsächlich unerwartet schnell und tragisch.
Unter den anderen Zeugnissen dieses bewegten und bewegenden Lebens ist auch ein Foto, das Albert Camus immer bei sich hatte. Es ist ein Foto des «verrückten Nietzsche», von dem er seinem Freund René Char gegenüber sagte: «Es ist ein außergewöhnliches Dokument, das einem das lächerliche und wunderbare Herz schwer macht. … ich habe es oft vor Augen, und dennoch, finde ich, hat es etwas Ermutigendes.»
Wiederum zu seinem letzen Werk Der erste Mensch hat Albert Camus wie ein Bekenntnis über Jacques Comery notiert: «Und letztlich hatte er, der alles bestritten, alles in Frage gestellt hatte, immer nur das Notwendige geliebt. … Die wahre Liebe ist weder eine Wahl noch eine Freiheit. Das Herz, vor allem das Herz ist nicht frei. Es ist das Unvermeidliche und die Erkenntnis des Unvermeidlichen. Und er hatte von ganzem Herzen wirklich nie etwas anderes als das Unvermeidliche geliebt.»