«Worauf es mir in meiner Arbeit vor allem ankommt, ist die Idealität, die sich hinter der scheinbaren Realität befindet», erläuterte Max Beckmann einmal 1938 in einer Rede «Über meine Malerei», die die Kuratorin Karin Schick im Buch zur Ausstellung über die Stillleben Max Beckmanns in der Hamburger Kunsthalle zitiert. «Es handelt sich für mich immer wieder darum, die Magie der Realität zu erfassen und diese Realität in Malerei zu übersetzen. Das Unsichtbare sichtbar machen durch die Realität.» Denn: «Kunst dient der Erkenntnis, nicht der Unterhaltung – der Verklärung – oder dem Spiel.»
Ein Gang durch die Ausstellung Max Beckmann. Die Stillleben stellt den Betrachter vor ziemliche Herausforderungen. «Eine festgeschriebene Ikonografie zur Darstellung einer bestimmten Weltanschauung lehnte der Künstler ab», erklärt Anna Heinze in ihrem Beitrag «Die Metaphysik des Stofflichen» über die Ikonografie und Inhalte von Max Beckmanns Stillleben und kann sich auf dezidierte Äußerungen des Künstlers stützen: «… nichts wäre lächerlicher und belangloser wie eine zerebrale gemalte Weltanschauung ohne den schrecklichen Furor der Sinne für jede Form von Schönheit und Hässlichkeit des Sichtbaren.» Zehn Jahre später, 1948, erklärte Max Beckmann in Drei Briefe an eine Malerin weiter: «Außerdem sind gewisse letzte Dinge nur durch Kunst an sich auszudrücken, sonst bräuchten sie nicht gemalt, geschrieben oder musiziert zu werden.»
Die Ausstellung führt den Besucher von den frühen, in glanzvoller weißer Umhüllung keusch blühenden Hyazinthen des Jahres 1906 über das intensive Weinrot des in dunkelbrauner Umgebung ruhenden Stillleben mit Weingläsern und Katze des Jahres 1929 zu der sinnlich-sinnigen, kaum zu überhöhenden Befragung aller geschlechtlichen Schöpfung im Stillleben mit großer Muschel aus dem Jahr 1939 bis zu den Glanz- und geheimnisvollen Versuchsstücken der letzten Lebensjahre, wie das fast wie eine Opfergabe ans alles durchwebende Sakrale des Lebens wirkende Stillleben mit grünem Buch und Rettichen des Jahres 1949.
Die zunehmenden schwarzen Linien, die brennenden oder erloschenen Kerzen, die immer wiederkehrende Wölbung und Mündung des Gehäuses der Großen Fechterschnecke, die vielen Spiegel und gespiegelten oder stillen, teils verhüllten Bildnisse und Plastiken in Beckmanns Stillleben – sie verdichten sich zu Zeichen und Chiffren, die aber nicht gelesen, sondern erlebt werden wollen.
Gegen das Lesen, das Deuten, wehrte sich Max Beckmann sehr.
Als Allegorien dürfe man seine Bilder, auch seine Stillleben nicht auffassen: «Gewiss nicht. Nein, wir reden überhaupt nicht über Symbolismus. Ich bin nur mit dem Aufbau des Gemäldes beschäftigt; das Thema ist absolut persönlich.» Da die Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle viele Gemälde aus Privatbesitz vereinigt, bietet sie eine einmalige Gelegenheit, dieses «absolut Persönliche» des größten malerischen Mythenschöpfers des 20. Jahrhunderts, Max Beckmann, zu bewundern.