Sophie kommt manchmal etwas laut und ungestüm daher. Wenn sie sich freut, gibt die Zwanzigjährige ihrem Jubel ungehindert Ausdruck. Sie platzt dann förmlich vor Freude. Das ist ansteckend. So was von. «Wenn wir uns länger nicht gesehen haben und ich bei ihr klingle, kommt sie mit 180 Stundenkilometern bedingungsloser Liebe auf mich zugeschossen. Dann scheint für den Rest des Tages die Sonne», erzählt die Filmemacherin Annette Wagner. Sie kennt Sophie seit mehr als zehn Jahren. Damals besuchte sie eine Lesung, in der Sophies Mutter über das Leben mit ihrer Tochter berichtete. Die Mutter stand auf der Bühne und hatte gerade ihren ersten Satz begonnen: «Meine Tochter hat das Down-Syndrom …», als in der Stille der Zuhörer ein kleines Mädchen aufstand, die Arme vor der Brust verschränkte und ein «Genau!» ins Publikum schmetterte.
Die Veranstaltung war von Eltern organisiert, die sich über die Erfahrungen mit ihren Kindern austauschten, zu deren Geburt sie viele besorgte und mitleidige Blicke und Beipackzettel mit zahlreichen Risiken und Nebenwirkungen bekommen hatten. Sehr viel Belastendes und sehr wenig Mutmachendes kam da von außen. Als eine von außen, als Journalistin, die damals zum ersten Mal mit Downsyndrom-Kindern in Berührung kam, spürte Annette Wagner die Notwendigkeit, diesen gesellschaftlichen Negativzeichnungen und Ängsten das Bild eines guten, eines gelungen Lebens entgegenzuhalten. Die Kleine, die so selbstbewusst «Genau!» gerufen hatte, erschien da im richtigen Moment. Wagner durfte Sophie mit der Kamera in den Alltag folgen und die Geschichte eines Mädchens dokumentieren, das freudige Schritte in die Welt macht, weil es mutig und neugierig ist und von seiner Familie ein förderndes Gleichgewicht aus Behütetsein und Zutrauen erfährt. Noch bevor das Wort Inklusion in aller Munde ist, erkämpft Sophies Mutter ihr einen Platz in der Regelschule, wo sie wie alle anderen Kinder Lesen, Schreiben und Rechnen lernt. Langsamer zwar, aber nicht minder stolz auf das Erlernte.
Zehn Jahre später ist ein zweiter Film entstanden. Er beleuchtet Sophies weiteren Weg, der sie nun noch ein ganzes Stück weiter in die Welt hinaus führen wird. Die Berufsfindung und die Ablösung von zu Hause stehen an. Sophie findet ihren Weg ist aber nicht nur das berührend Portrait einer jungen Frau, die ihr Umfeld gleichzeitig beschenkt und herausfordert. Der Film lenkt den Blick auch darauf, wie dieses Umfeld ihr helfend beiseite steht; ein unterstützendes Netz aus Familie, Betreuern und Institutionen begleitet Sophie auf der Schwelle ins Berufs- und Erwachsenenleben.
Die Bedingungen mit Trisomie 21 zu leben, sind heute praktisch so gut wie nie zuvor. Dennoch kommen immer weniger dieser Kinder zur Welt. Ein einfacher Test des Mutterblutes ermöglicht seit 2012 eine Diagnose bereits nach der neunten Schwangerschaftswoche. Und laut einer Studie des Instituts für medizinische Genetik der Universität Zürich treiben 94,5 % der Paare ihr Kind ab, wenn sie erfahren, dass es das Downsyndrom hat. Annette Wagner weist auf die Schere hin, die in einer Gesellschaft klafft, die sich einerseits das Wort «Inklusion» auf die Fahnen schreibt und anderseits Leben mit Behinderung durch diese Testmöglichkeiten diskriminiert und verhindert. Im Film über Sophie spricht sie die Problematik nicht an, was gut ist. Das Reißerische liegt ihr fern. Aber spätestens wenn die Kosten des Tests in absehbarer Zeit von den Krankenkassen übernommen werden, wird dieser Test auch zu einem Test für die Gesellschaft. Inklusion – sollte das nicht heißen, das Kind so anzunehmen, es so zu lieben, so zu fördern, wie es kommt? Und kann dadurch nicht ein tiefes Glück erlebt werden? Wagners Filme über Sophie lassen die Antwort im Herzen entstehen, sie artikuliert sich in einem lauten, ungestümen: «Ja, genau!»