In den Ohren ein Jazzschlager von 1938. Hart schlagen die ersten Takte an, entschieden und unaufhaltsam. Die Melodie, die sich darüber legt, ist melancholisch, intensiv wie das Gefühl einer großen Erinnerung. Ein wehmütiges Wissen um vergangene Tage und die Unaufhaltsamkeit der Zeit, doch mehr und mehr klingt auch ein hoffnungsvoller Aufbruch an. Vor den Augen ein rätselhaftes Bild: Vier Pelikane sitzen da wie stille Zeugen im Hintergrund eines bürgerlich anmutenden Salons in dessen Mitte sich ein tanzendes Paar dreht. Daneben auf dem Boden eine leicht bekleidete Frau, die ihre verstümmelten Arme in die Luft reckt während ein mittelalterlich anmutender Jüngling der Tänzerin einen geheimnisvollen Schlüssel zeigt. Es ist Max Beckmanns Gemälde Begin the Beguine und der gleichnamige Jazzschlager, die hier zu einem eigentümlich intensiven Kunsterlebnis verschmelzen.
Den zauberhaften Beckmann-Jazz-Moment beschert die äußerst sehens- und hörenswerte Ausstellung I Got Rhythm. Jazz und Kunst seit 1920 im Stuttgarter Kunstmuseum. 1946, zu Ende seines Exils, ließ sich Beckmann in einer Jazzbar in Amsterdam zu jener Szenerie inspirieren und benannte das Bild nach dem damals sehr populären Lied. Mittels Audioguide treffen musikalische Inspiration und malerisches Werk in Stuttgart wieder aufeinander.
Beckmann war wie viele andere Künstler und Intellektuelle ein Freund des Jazz, seitdem der Stil in den 1920er Jahren aufgekommen war. So auch Otto Dix, ein leidenschaftlicher Swingtänzer, dessen Großstadt-Triptychon im Kunstmuseum dauerhaft als Teil der Sammlung zu sehen ist und in der aktuellen Ausstellung ausnahmsweise um die lichtempfindliche Vorarbeit auf Carton spannend ergänzt wird. Ebenso jazz- und tanzaffin: Piet Mondrian, der mit seinen Abstraktionen auf malerischer Ebene einen ähnlichen Weg einschlägt, wie der Jazz, der sich im Bebop zur abstrakten Kunstform wandelt. In geometrischer Abstraktion malt 1962 auch Frank Stella sein Bild Hyena Stomp, während er das Musikstück des Jazz-Pioniers Jelly Roll Morton mit demselben Titel hört. Stellas Bild fängt die Augen mit intensiven Farbstreifen ein, die bei längerer Betrachtung in Bewegung geraten, was beim gleichzeitigen Hören des Stücks einen beinahe psychedelischen Effekt erzeugt.
Weder abstrakt noch geometrisch, sondern wesentlich weltlicher: Josephine Baker, die Ikone des Jazz-Zeitalters, die so manchem Künstler Flausen in den Kopf setzte, von denen in Stuttgart auch ein paar zu sehen sind.
Von den Anfängen folgt die Schau der künstlerischen Rezeption des Klang- und Lebensgefühls «Jazz» bis ins Heute. Dabei verliert sie nicht die Widersprüchlichkeit aus dem Blick, dass der Jazz als originär afro-amerikanische Kulturleistung lange Zeit nach außen hin als Soundtrack des US-Amerikanischen Freiheitsversprechens verkauft wurde, während gleichzeitig Segregation und Diskriminierung im Inneren herrschten. Andy Warhol, der auch Plattencover für das legendäre Label Blue Note Records entwarf, erzählt mit Little Race Riot (1964) genauso davon wie Joe Overstreet mit seinem Gemälde Strange Fruit (1965), das wie der Text des gleichnamigen Liedes von Billie Holiday vom Lynchmord an einem Afroamerikaner handelt.
Ganz oben, in der letzten Etage des Stuttgarter Kunstkubus, wartet die Videoarbeit Luanda-Kinshasa (2013) von Stan Douglas. Vibrierend, klangewaltig und bildschön kreist sie um zehn Musiker, die in einem Nachbau des berühmten New Yorker Columbia Records Studio jammen. Man muss sich nicht den gesamten sechstündigen Loop ansehen, um positiv aufgeladen nach Hause zu gehen. Aber man kann.