Am 5. Januar starb mit 90 Jahren der französische Komponist und Dirigent Pierre Boulez. Zeit seines Lebens hat er sich für die zeitgenössische Avantgarde stark gemacht, um ihre Aufführung gekämpft, sich als Dirigent aber auch für die Musik der klassischen Moderne bis hin zu den Vorläufer Wagner, Bruckner und Mahler engagiert und dies in vielen Aufnahmen dokumentiert. Wesentlicher Impuls für sein Engagement war es, die Menschen mit der Musik ihrer Zeit vertraut zu machen, da diese – zunächst sperrig und unverständlich erscheinend – besonders oft und aufmerksam gehört werden muss, um verstanden werden zu können. Dies trifft gerade für die der Atonalität verpflichtete Musik – wie die von Boulez – zu, da sie mit Traditionen bricht, die durchaus kritisch wahrgenommen und hinterfragt werden dürfen.
Für Pierre Boulez’ eigenes Schaffen ist ein permanenter Erneuerungsprozess kennzeichnend – es wäre ihm nie in den Sinn gekommen, auf ausgetretenen Pfaden zu wandern. So etwas langweilte ihn. Daher geriet jedes seiner Werke zu etwas vollkommen Neuem – mit einer charakteristischen Musiksprache, die immer weiter experimentierfreudig erweitert wurde.
Das Oeuvre von Pierre Boulez ist hoch komplex, ja, es wurde mit den Jahren in seinem Aufbau immer komplexer und blieb doch erstaunlich zugänglich, sobald man sich mit seiner Musiksprache angefreundet hatte. Eine feinsinnig ausgeklügelte, höchst «klangsinnliche» Instrumentation erleichtert dies. Seine Musik ist en detail durchdacht. Beim ersten Hören nimmt man dies eher unbewusst war, erkennt aber schon strukturierende Elemente.
Um die Musik von Boulez kennenzulernen, eignen sich seine Klavierstücke Notations 1–12 für ein erstes Hören. Formal ist diesem Frühwerk noch die Nähe zur Zweiten Wiener Schule anzumerken: höchste Konzentration und extreme Kürze der einzelnen Sätze. Auch die Satzbezeichnungen lehnen sich an jene der Schönberg-Schule an.
Wer sich gleich an ein Orchesterwerk wagen möchte, dem sei die Trauermusik Rituel in memoriam Bruno Maderna nahegelegt, ein Werk von präziser formaler Struktur: gegliedert in 2 x 7 Abschnitte und einen Epilog. Orchestriert ist es für acht Orchestergruppen, denen jeweils ein Perkussionist vorsteht. Die Zahl 7 spielt in diesem Werk eine wesentliche Rolle. So haben die Schlagzeuger jeweils sieben Instrumente bzw. Instrumentenpaare zu bedienen. Ein siebentöniger lang anhaltender Akkord erscheint regelmäßig während der ersten Hälfte des Werks in den Blechbläsern.
Mit Zahlen spielt Boulez auch bei der Besetzung: So besteht die erste «Gruppe» aus einer Oboe und einem Schlagzeuger, wobei die Oboe eine siebenphrasige «Melodie» intoniert. Die zweite Gruppe besteht nun aus zwei Klarinetten (+ Schlagzeug), die dritte aus drei Flöten (+ Schlagzeug), die vierte aus vier Geigen (+ Schlagzeug), die fünfte ist ein Bläserquintett (+ Schlagzeug), die sechste ein Streichsextett (+ Schlagzeug), die siebte ein (Holz-)Bläserseptett (+ Schlagzeug) und die achte ein (Blech-) Bläserquintett (+ Schlagzeug, hier 2 Perkussionisten, die 7 Gongs und 7 Tam-Tams bedienen).
Das Orchesterwerk hat die formale Strenge eines Trauermarschs: Es ist ein Voranschreiten, dem nur Bläserakkorde und Perkussionsschläge – wie ein Seufzer oder Aufschrei – immer wieder Einhalt gebieten; bis der musikalische Strom erlischt.
Am 26. März wäre Pierre Boulez 91 Jahre alt geworden. Wir dürfen uns an diesen verdienstvollen Musiker erinnern, indem wir sein Werk, das bleiben wird, aufführen und hören.