«Ich gehöre hier nicht hin!», protestiert der 13-jährige Ernst Lossa, als er im Frühjahr 1942 nach einer Odyssee durch diverse Kinder- und Erziehungsheime in eine Nervenheilanstalt in Süddeutschland eingeliefert wird. Aufgrund seines aufmüpfigen Wesens und einiger Diebstahldelikte war dem Jungen, dessen Familie zur Volksgruppe der Jenischen gehört (ein Wandervolk, das in der Rassenideologie der Nazis als sogenannte «Zigeuner» diskriminiert wurde), in einem ärztlichen Gutachten der Stempel «asozial» verpasst worden. In ihrer Mischung aus existenzieller Verlorenheit und trotziger Auflehnung erinnert die Figur des charismatischen Lossa (Ivo Pietzker) in dem auf wahren Begebenheiten beruhenden Film Nebel im August an Truffauts sympathischen Außenseiter Antoine Doinel aus Sie küssten und sie schlugen ihn – zwei rebellische Jungen, die von einer verständnislosen Erwachsenenwelt immer weiter in die Enge getrieben werden.
Das neue Leben in der Anstalt scheint im Vergleich zu den vorherigen Erziehungsheimen zunächst eine Verbesserung zu sein, denn – wie ihm der Klinikleiter Dr. Veithausen (Sebastian Koch) verständnisvoll versichert – geschlagen werde Lossa hier nicht. Und tatsächlich arrangiert sich der Junge recht schnell mit dem bedrückenden Alltag des Anstaltslebens, schließt Freundschaften mit anderen Kindern, besonders mit der unter epileptischen Anfällen leidenden Nandl (Jule Hermann), hofft lange Zeit darauf, doch noch von seinem Vater abgeholt und mit ins ferne Amerika genommen zu werden, und erkennt allmählich, dass in der Klinik furchtbare Dinge vor sich gehen: Patienten, die in Busse verfrachtet und an einen unbekannten Ort gebracht werden, der nichts Gutes verheißen kann, ein rätselhaftes Sterben anderer, die am Tag zuvor noch gesund schienen, bevor die neue Krankenschwester Frau Kiefer (Henriette Confurius) ihnen einen Himbeersaft verabreicht hat. In Schwester Sophia (Fritzi Haberlandt), die sich ihrem christlichen Glauben verpflichtet fühlt, findet Ernst im Klinikpersonal schließlich eine Verbündete.
Der Film Nebel im August versteht es sehr geschickt, sich der schwierigen Thematik der «NS-Euthanasie», also der massenhaften Ermordung von nach Nazi-Ideologie «lebensunwerten» Patienten in Heil- und Pflegeanstalten, einerseits behutsam und unter Vermeidung von falschem Pathos zu nähern, andererseits aber auch packende Kinounterhaltung zu bieten. Regisseur Kai Wessel verzichtet dabei großteils auf die üblichen Requisiten und Versatzstücke wie Hakenkreuzfahnen oder Hacken zusammenschlagende Soldaten und konzentriert sich dafür auf die Geschichte seines Protagonisten, der zum Glück mehr sein darf als bloß tragisches Opfer.
Ein großer Trumpf ist die durchweg überzeugende Besetzung des Films, die auch aus einigen eher schablonenhaft angelegten Figuren das Beste herausholt: etwa Sebastian Koch als charmanter «Wolf im Schafspelz» oder Henriette Confurius als eiskalter Todesengel. Neben dem tollen Ivo Pietzker, der den gesamten Film trägt, glänzt auch Fritzi Haberlandt, die mit sparsamer Mimik den Schrecken einfängt, der sich vor ihren Augen abspielt. Lediglich ganz am Ende gerät Nebel im August dann doch etwas hollywoodmäßig, in dem er sich zu sehr verrenkt, sein Publikum möglichst noch mit einer hoffnungsvollen Botschaft aus dem Kino zu entlassen. Da wäre es konsequenter gewesen, mit dem Tod seines Helden zu enden und der Kraft der zuvor so treffend gewählten Bilder zu vertrauen.