Bonn. Unweit des ehemaligen Kanzleramts ist sanft, aber laut, ein Raumschiff gelandet. Das aus sieben Männern und Frauen sowie einem Hund bestehende Astronautenteam kommt vom Planeten kUMUSI. Wie alle, die dort leben, haben sie Trisomie 21 – das Down-Syndrom. Bereits vor 5.000 Jahren waren erste Bewohner von kUMUSI auf der Erde gelandet. Ziel der «Second Mission» ist es nun, zu erkunden, ob deren Nachfahren noch leben, wie es ihnen ergangen ist und wie es ihnen heute geht.
So lautet die fantasievolle Rahmenhandlung einer Ausstellung, in der sonst nichts erfunden ist. TOUCHDOWN in der Bundeskunsthalle Bonn berichtet über die Geschichte des Down-Syndroms, und sie liest sich wie ein genaues, buntes und horizonterweiterndes Logbuch einer solchen Erd- und Menscherkundung.
In lebensgroßen Comics illustriert der Zeichner Vincent Burmeister die Astronauten, deren Fundstücke und Protokolle in den sieben Kapiteln der Schau zu sehen sind. Nichts Verniedlichendes oder Verklärendes haben seine Zeichnungen, sie sind ernsthaft, erwachsen und cool. Lebendig werden sie durch das Team, das sich die Figuren ausgedacht hat. Es besteht zum Großteil aus Menschen mit Trisomie 21. Sie geben nicht nur den Charakteren ihre Stimme, sie haben auch die Ausstellung als Experten in eigener Sache von Grund auf mitgestaltet!
Im ersten Raum präsentieren sie Gegenstände, die stellvertretend für Aspekte stehen, die ihnen im Leben wichtig sind. «Pünktlichkeit ist sau sehr wichtig», sagt Johanna von Schönfeld. Aber oft fällt es Menschen mit Down-Syndrom schwer, Zeiträume und Zahlen richtig einzuschätzen. Verena Günnel hat deshalb ihren Wecker in einer Vitrine platziert. Der hilft. Für Julian Göpel steht sein Schlüsselbund für die Selbständigkeit, alleine nach Hause zu kommen und dort auch alles alleine
machen zu können. Julia Bertmann stellt Wurstscheiben aus. Wie viele Menschen mit Trisomie 21 sieht sie jünger aus, als sie ist und wird mit ihren 35 Jahren in der Metzgerei noch gefragt: «Möchtest du eine Scheibe Wurst?» – «Ich sage dann: Nein danke, Sie können mich siezen.» – Die Gegenstände wecken Neugier. Wie sehen die Lebenswelten von Menschen mit Down-Syndrom aus? Wo und wie stehen sie in der Gesellschaft? Zahlreiche Ausstellungsstücke wie ein selbstgenähtes Hochzeitskleid mit zugenähten Armen, Polaroidfotos mit letzten Wünschen, gemalte Bildwelten, winzig klein gekritzelte Liebesbriefe, die niemand außer dem Verfasser lesen kann, und viele andere Dinge und Kunstwerke geben darauf Antworten. Antworten, so unterschiedlich und individuell wie die Vielfalt in den Gesichtern der 36 eindrücklichen Portraits, die Britt Schilling von Menschen mit Trisomie 21 gemacht hat.
TOUCHDOWN führt zurück in die Geschichte, in hellere und dunkle Kapitel und kommt wieder an im Heute, erklärt zum Beispiel den Stand der medizinischen Forschung zu Trisomie 21 und dessen mögliche Konsequenzen. Immer wieder kommen dabei Menschen mit Trisomie 21 zu Wort. Und so tönt ihre eigene, einfache, manchmal lustige, manchmal anrührende, meist sehr direkte und oft hinreißend poetische Sprache durch die Räume.
Der Star der Ausstellung ist Dr. John Langdon Down. Der englische Arzt beschrieb das nach ihm benannte Syndrom 1866 zum ersten Mal. Er leitete ein Heim für geistig Behinderte und war in seinem achtsamen und fördernden Umgang mit den Bewohnern seiner Zeit weit voraus. Deutlich sieht man dies an seinen Fotografien von ihnen, die auch in Bonn gezeigt werden. Einen solchen würdigenden, liebevollen und zugleich sachlichen Blick nimmt auch die Ausstellung ein – und dadurch der Besucher auch innerlich mit nach Hause.