«Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort. / Sie sprechen alles so deutlich aus: / Und dieses heißt Hund und jenes heißt Haus, / und hier ist Beginn und das Ende ist dort. / … Ich will immer warnen und wehren: Bleibt fern. / Die Dinge singen hör ich so gern. / Ihr rührt sie an: sie sind starr und stumm. / Ihr bringt mir alle die Dinge um.»
Am 21. November 1897 schreibt Rainer Maria Rilke mit diesen Zeilen gegen die Selbstgewissheit eines toten Denkens an, das der Welt seinen Stempel aufdrückt und den Dingen ihre Poesie, ihr Geheimnis und ihre Lebendigkeit raubt. Genau ein Jahr darauf, am 21. November 1898, wird ihm in dieser Hinsicht im belgischen Lessines ein Komplize geboren: René Magritte, der sich in seinem malerischen Schaffen der Aufgabe widmen wird, die Dinge aus der tödlichen Schusslinie der eingeübten Definitionen zu rücken und den vorschnell einordnenden Betrachter vor den Kopf zu stoßen. Magritte will «den Bruch mit der Gesamtheit der absurden Denkgewohnheiten, die im allgemeinen ein echtes Existenzgefühl ersetzen.» Dazu führt er das Denken in die Irritation, ins Ungewohnte und rüttelt am Zusammenhang zwischen den Dingen und den Worten.
Magrittes wohl bekanntestes Werk in dieser Mission ist die gemalte Tabakpfeife in Kombination mit dem Schriftzug Ceci n’est pas une pipe («Dies ist keine Pfeife») von 1928. Er betitelte das Bild mit La Trahison des images. Mit der deutschen Übersetzung ist jetzt eine Magritte-Schau in der Frankfurter Schirn überschrieben: Der Verrat der Bilder. Sie zeigt Magritte als Philosophen, der sich mit den Problemen von Abbildung und Wirklichkeit auseinandersetzt und das Verhältnis von Wort und Bild erkundet. Als Künstler wollte er sich nicht verstanden wissen, er sah sich als Denker, der durch seine Bilder denkt.
Im Eingangsbereich flackern Schwarz-Weiß-Filme, die der Meister mit seinen Freunden gedreht hat. Man kann sich fragen, ob eine Absicht hinter diesen Kurzfilmen steht, oder ob sie lediglich aus der puren Begeisterung entsprungen sind, mal so etwas modernes wie eine Filmkamera im Haus zu haben. Auf jeden Fall zeigen sie seinen Sinn für das Komische – sie zeigen einen Humor, der auch in vielen seiner Bildern zu stecken scheint, obwohl oft schwer zu deuten ist, was nun mit tragischem Ernst oder mit einem Augenzwinkern auf die Leinwand gepinselt wurde.
Die Gratwanderung zwischen Humor und Ernsthaftigkeit ist eine von vielen Unsicherheiten, die beim Betrachten der Bilder entstehen, ganz abgesehen von der Frage, wie man die verrätselten Welten deuten kann, die er in den 1920er bis in die 1960er Jahre erschaffen hat. Da werden Schatten durchlässig und lebendig, da brennen Blechblasinstrumente wie hölzerne Stühle, Frauenkörper werden kubisch aufgeteilt, Männer mit Melonenhüten kehren immer wieder und Eisenbahnen stechen durch zugemauerte Kamine.
Will man Magrittes Anspruch gelten lassen, dass seine Bilder auf der gleichen Höhe stehen, wie die Worte eines philosophischen Textes, der ein Problem löst, macht er einem das Lesen nicht einfach. Auch die Titel sind so gewählt, dass sie «verhindern, meine Bilder in einem vertrauten Bereich anzusiedeln, den der automatische Ablauf des Denkens für sie finden könnte.» Es gilt also, Umwege einzuschlagen, denkend zu befragen und sich dem eigenen Spürsinn anzuvertrauen. In Zeiten von Fake News sicher keine schlechte Übung.