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Christian Hillengaß

Sehnsuchtssuche

Nr 209 | Mai 2017

Eine Begegnung. Eine Liebe. Wieder auseinander gegangen, weit weg in der Zeit. Aber im Blick zurück leuchtet sie als etwas Besonderes. So sehr leuchtet sie, dass das Nichtgelebte als verpasste Chance erscheint, als beunruhigende Leerstelle in der eigenen Biografie. War man blind? Nicht mutig genug? Was wäre wenn? Lässt sich noch etwas nachholen?
Aus diesen Fragen entsteht die treibende Kraft in Volker Schlöndorffs neuem Film Rückkehr nach Montauk. Sie entfaltet sich aus dem Innenleben des Schriftstellers Max Zorn, der nach New York reist, um dort sein neues Buch vorzustellen. Er trägt die Erinnerung an eine Frau mit sich, die er in seinem Buch geradezu zum Mythos erschreibt, und die noch immer in New York lebt, wo er sie vor siebzehn Jahren verlassen hat. An jeder Straßenecke sieht er sie und sieht sie nicht. So entzieht das Alte, Ungeklärte und Geheimnisvolle ihn mehr und mehr der Gegenwart, die vor allem in Gestalt seiner wundervollen, viel jüngeren Lebensgefährtin Clara (Susanne Wolff) daherkommt, die ihn in New York begleitet. Ohne viel Zögern macht sich Max Zorn an ihr vorbei auf, Rebecca, die Frau von damals, zu kontaktieren.
Der Film entwickelt sich in einem langsamen Erzähltempo –?als richte er sich nach dem ruhigen, beinahe schwer­fälligen Charakter des Schriftstellers, den der Däne Stellan Skarsgård auf ganz eigene Art interessant und keineswegs gefällig verkörpert. Ihm gegenüber steht Nina Hoss, die als Rebecca zurückhaltend und kühl agiert und in ihrer Distanziertheit weiterhin eine geeignete Projektionsfläche für seine Traumbilder bietet. In einer viel realistischeren und pragmatischeren Art geht es auch ihr darum, herauszufinden, was passiert ist, was das ist, zwischen den beiden, und was da noch möglich sein kann. So verabreden sie sich zu einer Fahrt hinaus aus der Stadt, hinaus nach Montauk, der nördlichen Spitze von Long Island, knapp 180 Kilometer von Manhattan entfernt. Es ist der Ort, an dem sie vor beinahe zwei Jahrzehnten ein Wochenende verbracht haben.
Wer nun an Montauk von Max Frisch denkt, liegt nicht ganz falsch, schließlich geht es auch in dessen autobiografischer Erzählung um ein Wochenende, das der Schriftsteller mit einer Geliebten dort verbringt. Rückkehr nach Montauk ist allerdings keine Verfilmung des Buches, sondern beruht auf einem eigenständigen Drehbuch mit Anspielungen auf Max Frisch, der mit Regisseur Schlöndorff befreundet war.
«Montauk» – indianisch für «Das Ende vom Land» – gibt in der Novelle wie im Film die geeignete Kulisse für einen Sehnsuchtsort. Ein altes Motel, Dünen, karge winterliche Strände und manchmal ein bisschen zu viel dramatisches Windgeheul.
«In Montauk kann man eigentlich nur zurückblicken», sagt Volker Schlöndorff. «An diesem Ort ist man losgelöst von allem – der hohe Himmel, der flache Strand. Und auf einmal tauchen die Geister auf.»
Ob ihre Geister nun real oder nur Gespenster sind, werden Max und Rebecca hier herausfinden. Der Film folgt ihnen dabei nah und direkt. Auch wenn die Vergangenheit ein großes Gewicht hat, kommt er ohne Rückblenden aus und bleibt ganz an der Gegenwart seiner Figuren. Ihre Präsenz ist seine Stärke. Schon um die fabelhaften Schauspieler Nina Hoss, Stellan Skarsgård und Susanne Wolff zu beobachten, lohnt sich der Kinobesuch.