Bei der Kunst soll keine Beliebigkeit herrschen, sondern etwas herauskommen, hat Joseph Beuys (1921-1986) gesagt. Der berühmte Mann ist nicht Künstler innerhalb des klassischen Kunstbegriffs geblieben, sondern hat sich als Sozialgestalter verausgabt – als Künstler im erweiterten Sinn. Am Schluss sollte dabei eine Gesellschaft jenseits von Kapitalismus und Kommunismus herauskommen. Vom l’art pour l’art hat sich Beuys um so mehr entfernt, je endgültiger sein Werk ins Leben eingegriffen und je endgültiger er für die Soziale Plastik eine Sprache gefunden hat.
Andres Veiel hat viele hundert Stunden Film- und Fotomaterial über Beuys zu einem Film verdichtet, der nichts als diesen Kampf um eine andere Gesellschaft zum Ausdruck bringt. Veiel verzichtet auf eine Chronologie und kommt ohne kunstgeschichtliche, pädagogische, politische oder weltanschauliche Überhöhungen aus. Er widmet sich «nur» dem Phänomen Beuys, diesem äußerst zerbrechlichen und gleichzeitig extrem durchschlagkräftigen Menschen. Dem Filmemacher gelingt es, mit Verve das Energiefeld dieser «gelebten Identität zwischen Denken und Tun» zu dokumentieren. Der Film lautet kurz und bündig und in Großbuchstaben: BEUYS – und trifft damit das Thema auf den Kopf. Auf diesen Film habe sie seit 30 Jahren gewartet, sagte Thea Thönges, langjährige Mitarbeiterin von Beuys, begeistert.
Veiels furios montierte Collage zaubert eine Glut auf die Leinwand, die gleichzeitig Tempo und große Stille, halkyonisches Gelächter und abgrundtiefe Trauer zeigt. Der Film ist selbst ein Kunstwerk, er elektrisiert und macht Mut. Angetreten unter dem weit verbreiteten Dünkel, über Beuys sei schon alles gesagt, gelingt es dem Regisseur, dieses Vorurteil mit jeder weiteren Minute seines Streifens schrittweise zu widerlegen. Veiel durchforstete jahrelang die Archive, er befragte über zwanzig Zeitzeugen, förderte unerschlossenes und bisher unbekanntes Bild- und Tonmaterial zutage und komponierte das Ganze zu einem Porträt.
Er zeigt einen rastlosen, jedes Understatement der Erwachsenenwelt unterminierenden, eine mythische Welt inszenierenden Mann, der sich den Fragen seiner Zeitgenossen mit großen Bildern, Fett, Filz und schamanistischen Ritualen annäherte, allein oder mit Tieren, die er in seine Aktionen einbezog. Schnelle Sequenzen werden von quälend langen Einblendungen von Details aus einigen Hauptwerken von Beuys abgelöst. Ob sie schnell oder langsam über die Leinwand ziehen, die mal farbigen, mal schwarz weißen Bilder werden in einen Klangraum gehüllt, der die Präsenz von Plastizität und Gegenwärtigkeit noch erhöht.
Veiel zeigt in seinem Film, der soagar im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale lief, auch das große Scheitern von Joseph Beuys, seine von den Behörden erzwungene Beendigung der Lehrertätigkeit an der Düsseldorfer Kunstakademie und das Fehlen auf einem aussichtsreichen Listenplatz zur Bundestagswahl der von ihm mitbegründeten Partei Die Grünen. Besonders der Rauswuf in Düsseldorf zählt zu den schwärzesten Tagen im Leben von Beuys. Dieses Scheitern zeigt Veiel allerdings groß, und an der richtigen Stelle blendet er Caroline Tysdall ein, die die zeitüberdauernde Bedeutung dieses Künstlers, Menschen und Sozialgestalters in Worte zu fassen vermag.
Auch Veiel weiß um die Bedeutung von Beuys Bescheid. Dies macht er mit instinktiver Sicherheit an dessen Augen fest, sie erscheinen immer wieder. Bevor der Abspann kommt, schaut Joseph Beuys zum letzten Mal in die Augen der Kinobesucher, eindringlich und fast wie mit den Augen eines Kindes – oder eines Kojoten, neben dem Hasen vielleicht sein Lieblingstier. – Jedenfalls sind es die Augen eines Menschen, der nicht bei der schönen Kunst stehen blieb, um gut von ihr zu leben, sondern die Soziale Kunst erfand und mit ihr mitten unter die Menschen ging und alles schenkte, verschenkte, was er zu geben hatte. Und Joseph Beuys hatte – und hat – sehr, sehr viel zu geben.