Es kommt nicht häufig vor, dass sich ein Mensch um einen gefallenen Baum kümmert. Ihm so etwas wie einen Totendienst erweist. Die Risse im gebrochenen Stamm mit gelbleuchtenden Ulmenblättern versorgt, die Äste filigran mit ihrem Gelb umwickelt, sodass sie wie goldene Blitze im nassen Moos liegen.
Es ist ein kostbares Gelb, dass der schottische Künstler Andy Goldsworthy hier bei seiner Arbeit mit dem Baum verwendet. Das Zeitfenster, das ihm bleibt, ist klein – denn nur für eine kurze, ungewisse Spanne im Herbst tragen die Ulmen diese Farbe. Ein frühzeitiger Frost kann sie über nacht in Schwarz verwandeln. Zudem stehen immer weniger Ulmen im Flusstal, das der Landschaftskünstler seit über dreißig Jahren besucht. In ganz Europa ist diese Baumart in Not – ein grassierender Pilz bringt sie zum Absterben. Ihr Gelb wird rar.
Jemand wie Andy Goldsworthy muss das besonders spüren. Er steht auf innige Weise mit der Natur in Kontakt. Er spielt, er arbeitet, er zaubert mit ihr. Er zaubert wahrhaftig – mit Bäumen, Blüten, Blättern, Licht, Wasser, Steinen, Eis und Erde entfacht er eine Magie, die nicht von dieser Welt zu sein scheint und doch ganz von ihr durchdrungen ist. Da reicht zum Beispiel ein Loch im Dach einer verfallenen Hütte und der Staub auf ihrem Boden um einen Lichtstrahl sichtbar zu machen, der plötzlich in geometrisch-vollendeter Schönheit den kargen Raum durchmisst. Nasse Mohnblüten schmiegen sich um nasse Finger, kleiden sie in einen roten Handschuh, der sich beim Eintauchen in den Fluss in rote Schiffchen auflöst. Felsbrocken fügen sich zu einem schützenden Oval, das einen Menschen in die Landschaft aufnimmt, als könne er sich damit direkt mit ihr verbinden.
Hellgrüne Blätter brechen in exakt formierter Linie den dunklen Asphalt der Großstadt.
Auch wenn Goldsworthy mittlerweile für manche seiner Projekte mit schwerem Gerät und einem Trupp Bauarbeiter erscheint, entstehen Kunstwerke, die nie als Eingriff in die Landschaft erscheinen, sondern durch Bearbeitung und Variation ihrer typischen Materialien wie zu einer formgeworden Essenz des Ortes werden.
Leaning into the Wind heißt eine neuer Film von Thomas Riedelsheimer, der dem Künstler in wundervollen Aufnahmen bei diesem Zaubern zusieht. Mit Rivers and Tides hatte Riedelsheimer im Jahr 2001 zum ersten Mal Goldsworthys erstaunliche Arbeit dokumentiert. Jetzt, sechzehn Jahre später, begegnet er einem älteren und ernsteren Künstler, der eine besondere Einheit von schicksalserfahrenem Mann und kindgebliebenem Künstler verkörpert. Seine Arbeit ist stellenweise persönlicher geworden, hat nachdenklichere Aspekte bekommen. Mittlerweile bezieht Goldsworthy auch vermehrt die körperliche Erfahrung in seine Kunst mit ein, erkundet in performativer Weise Welt und Elemente. So auch in der titelgebenden Szene des Films: Da stellt er sich auf einem sturmumtosten Hügel gegen den Wind, wird von den Böen umgeschmissen, steht wieder auf, strauchelt erneut und kämpft so lange, bis er sich für einen Moment lang mit seinem vollen Gewicht schwerelos in den Wind lehnen kann. Für einen kurzen, kostbaren Augenblick, der ewig scheint, wird er gehalten. Um solche Momente, sagt er, gehe es ihm in seiner Kunst. Er suche mit ihr den Augenblick, in dem auf einmal alles klar und voller Schönheit ist und sich ein Sinn ergibt. Leaning into the Wind lässt uns auf besondere Weise an solchen Augenblicken teilhaben.