Ein Foto, das 1984 in der Zeitschrift «Bauwelt» erscheint, zeigt fünf Herren, die im Jahr 1930 mit Bier und Zigarren das Richtfest von Haus Poelzig feiern. Es ist ein modernes Haus, dem «neuen Bauen» verschrieben – einstöckig, aus zwei weißen Kuben bestehend. Ebenso modern für diese Zeit: Es wurde von einer Frau entworfen. Marlene Moeschke-Poelzig, die Architektin, sitzt auch mit am Tisch. Nur hat man sie für den Abdruck im Magazin einfach aus dem Bild geschnitten. Das Foto wird stattdessen von ihrem Mann, dem berühmten Architekten Hans Poelzig, dominiert. Erkenntlich wird diese männliche Gewichtsverlagerung beim Blick auf den Originalabzug. Da sitzt die Architektin im weißen Kleid mit modischem Hut am Kopfende der Herrengesellschaft.
Im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt am Main ist nun das vollständige Bild zu sehen. Die Ausstellung Frau Architekt rückt nicht nur Marlene Moeschke-Poelzig aus dem toten Winkel der Wahrnehmung, sondern auch eine bunte Reihe anderer Frauen, die sich in der Architektur einen Namen machten, der dann nur allzu oft hinter dem ihrer Männer und Kollegen verschwand.
Noch immer wird das Feld stark von Männern bestimmt. Zwar studieren mittlerweile mehr Frauen als Männer Architektur. Allerdings ist die Quote derer, die dann tatsächlich den Beruf ausüben im Verhältnis dazu gering. Frauen mit eigenen Büros sind selten. Wie sie wahrgenommen werden, wird immer wieder – und immer noch – von den alten Mann-Frau-Mustern bestimmt.
Frau Architekt will die Geschichte der Architektur neu erzählen – aus der Perspektive von Frauen, die seit über hundert Jahren die Architektur in Deutschland prägen und gestalten. Es ist eine spannende Erzählung anhand der Werke und Wege von 22 Architektinnen, die in der wechselvollen deutschen Geschichte höchst unterschiedlich auftreten.
Da ist zum Beispiel Marie Frommer, die sich 1911 als eine der ersten Frauen an der Königlich Technischen Hochschule in Berlin immatrikuliert und später mit einem eigenen Büro tätig wird. Während sie als Jüdin 1936 aus dem Bund Deutscher Architekten ausgeschlossen wird, macht Gerdy Troost als Hitlers Gestalterin Karriere. Troost übernimmt nach dem Tod ihres Mannes den Bau des Deutschen Hauses der Kunst in München und entwirft unter anderem die Inneneinrichtung von Hitlers Berghof am Obersalzberg. Carola Bloch, Kommunistin und Frau des Philosophen Ernst Bloch, wird zu einer der prägenden Figuren der standardisierten DDR-Baukultur, bevor sie mit ihrem Mann in die Bundesrepublik immigriert. Siegrid Kressmann-Zschach fasziniert in dieser Zeit die Medien als erfolgreiche Geschäftsfrau mit schillerndem Auftritt und luxuriöser Lebensweise. Und während Margarethe Schütte-Lihotzky mit ihrer Frankfurter Küche bekannt wurde, baute die Feministin Verena Dietrich überragende Stahlbauten.
Herzstück der Ausstellung ist das «Frauenzimmer» in der Mitte des historischen Rundgangs. Wurde bislang nur über die Frauen gesprochen, kommen sie hier selbst zu Wort: Sophia Edschmid hat neun Architektinnen aus mehreren Generationen getroffen und filmisch portraitiert. Geboren zwischen 1930 und 1995 sprechen sie über ihre Arbeit und ihre Rolle als Frau im Architekturbetrieb. Schon allein diese klugen und lebendigen Porträts lohnen ein Besuch bei Frau Architekt.