Wenn sich Musiker aus dem westlichen Kulturkreis indischer Musik zuwenden und sie in ihre Kompositionen aufnehmen, schwingt neben der musikalischen Faszination oft auch ein spirituelles Interesse mit. George Harrison ist da ein Beispiel. Oder John Coltrane, der Großmeister des Spiritual Jazz, der auf seinem Album Om indische Inspirationen klanglicher und geistiger Art aufnahm. Feine unsichtbare Saiten spannen sich zwischen den Orten des Westens, an denen Jazz, Pop und Rock groß wurden, und dem indischen Subkontinent.
Neue, unverwechselbare Saiten dieser Art hat der junge Frankfurter Jazzgitarrist und Komponist Max Clouth aufgezogen – und er bespielt sie virtuos. Auch er hat sich Indien angenähert. Nein – er ist tief eingetaucht in das Land und seine Klänge. Und auch für ihn bilden Klang und Spiritualität eine Einheit.
Kamaloka heißt sein neues Album, das er zusammen mit seiner Band – dem Clan – und indischen Gastmusikern aufgenommen hat. Ein Jazz-Werk mit erweitertem Horizont, in dem er indische Musik mit westlichen Klanginstrumenten mischt und mit seinem ganz eigenen Sound anreichert.
Kamaloka ist Sanskrit und bezeichnet eine geistige Sphäre zwischen Erde und Himmel, in welche die Seele des Menschen nach dem Tod gelangt. Hier vollzieht sie einen Prozess der Läuterung und Loslösung vom Materiellen. In einem Lebenspanorama bekommt sie einen umfassenden Blick auf ihr gelebtes Erdenleben, das sie in rückwärtigem Ablauf noch einmal erlebt. Dabei erfährt sie auch, was sie in der Begegnung mit anderen Menschen ausgelöst hat.
Durch Schicksalsereignisse und Träume hat sich Max Clouth eingehend mit den Inhalten der Erzählung des Kamaloka beschäftigt, Elemente daraus musikalisch verarbeitet und sie in sein neues Projekt eingewirkt.
Kamaloka beginnt wild. Begleitet von irisierendem Singsang schraubt sich über mehrere Etappen ein Strudel schneller Klangfolgen in die Höhe. Auf dem Höhepunkt angekommen verkehren sich Teile der Melodie ins Rückwärts, reiten weiter, wiederholen sich und münden irgendwo Jenseits. Dann ist Stille. Wie erlöst klingt der zweite Track. Clouth hat ihn am Ufer des Naramada in Zentralindien komponiert – nachts. Eine friedvolle Atmosphäre entfaltet sich beim Hören, als hätte Clouth Fluss und Nachtluft zum gemeinsamen Musizieren eingeladen. Der Text des indischen Mystikers Kabir, den die Sängerin Sriparnada Nandi darüberlegt, ist von tiefer Poesie.
Max Clouth zaubert Töne und Melodien aus einem ganz besonderen Instrument: Er ließ sich eine zweihalsige Gitarre bauen, die indische Sitar, westliche Gitarre und das arabische Saiteninstrument Oud vereint.
Die vielseitigen Klänge ziehen sich durch das Album, als würden sich unter Clouths Händen die Himmelsrichtungen unterhalten.
Nach der Track «Naramada» nimmt das Album wieder Fahrt auf. Es hat viel von der Energie nach vorn, in Zukünftiges aufgenommen, die Clouth in den drei Jahren, die er in Indien lebte, dort wahrgenommen hat. Über Tracks wie «Delhi Jaipur Highway» oder «Yari Road» entwickelt sich eine rockige und raumöffnende Reise. Dabei bekommt die Geschwindigkeit des Albums immer wieder ein Gegengewicht durch ruhige Klangphasen – Atempausen, in denen Kamaloka meditativ wird ohne still zu sein. Auch dadurch ist das Album über seine 12 Stücke hinweg nicht nur ein an einem spirituellen Motiv orientiertes Klangpanorama, sondern auch ein handfester, diesseitiger Roadtrip. Mit Max Clouth und dem Clan musikalisch unterwegs zu sein (sie sind es mit ihrer Tour, die im Mai beginnt, bald auch real) ist faszinierend und eröffnet auf wunderbare Weise neue Horizonte.