«Das Streichquartett war das verkehrstüchtigste Beförderungsmittel musikalischer Ideen, das je ersonnen wurde, und die gesanglichste, d.h. menschlichste, der instrumentalen Möglichkeiten», schrieb Igor Strawinsky und präzisierte dann, «insofern es das nicht von Geburt an war: Beethoven machte es dazu.»
In der Tat hat Beethoven diese Gattung – kaum 50 Jahre, nachdem Haydn sie quasi entwickelt und etabliert hat – auf eine unübertroffene Höhe geführt. Seine 16 Streichquartette umfassen die Spannbreite seines Schaffens, von den frühen Werken bis zu den letzten Kompositionen. Sie sind Motor und Gipfel seiner künstlerischen Entwicklung und breiten einen musikalischen Kosmos vor uns aus. Meisterhaft sind sie alle, von den sechs Quartetten Op. 18 bis zum nachkomponierten Finale für Op. 130, dem letzten Stück, das Beethoven vollendete. Überdies zeigen sie die Entwicklung zu einem immer persönlicheren Stil, der Regeln, Konventionen, allgemeine Erwartungshaltungen weit hinter sich lässt und in dem sich der Komponist rückhaltlos selbst offenbart. Das Streichquartett wird für Beethoven zu seiner eigenen Stimme. Und das Erstaunliche: Mit der Individualisierung wird die Musik zugleich überpersönlich, existenziell, allgemeingültig – ein Ausdruck des Menschlichen und Humanen.
Beethovens Zeitgenossen allerdings, auch Musiker und Kritiker, hatten zunehmend Mühe, ihm zu folgen und seine Quartette zu verstehen und zu würdigen. So meinte etwa der Geiger Felix Radicati, dass Beethoven seine Quartette Op. 59 doch wohl selbst nicht für Musik halte, woraufhin ihm dieser beschied: «Sie sind auch nicht für Sie, sondern für eine spätere Zeit.»
Hat Beethoven seine Streichquartette also für uns geschrieben? Können wir sie heute besser verstehen, nachdem sie längst eine feste Größe im Konzertleben sind und zahlreiche Einspielungen vorliegen?
Einen originellen, vielschichtigen Zugang bietet Edward Dusinberres Buch Beethoven für eine spätere Zeit. Der Autor, seit 25 Jahren 1. Geiger des renommierten Takács Quartetts und mit Beethovens Musik bestens vertraut, führt gekonnt in diese faszinierenden Werke ein, indem er Schlaglichter auf ihre Besonderheiten wirft, ausgewählte Stellen erläutert (inklusive Notenbeispielen) und ihre Entstehung und Aufführungen im biographischen und zeitgeschichtlichen Kontext beschreibt. Zugleich gibt er spannende Einblicke in das Leben und die Arbeit einer bekannten Quartettformation. Was bedeutet es für ein Ensemble heute, diese Stücke zu proben, aufzuführen und einzuspielen? Wie nähert es sich in seinem Verständnis den Werken? Und wie harmonieren vier musikalisch eigenständige Persönlichkeiten in einem Quartett?
Entstanden ist eine sehr lesbare Darstellung, die viele persönliche Erfahrungen und Anekdoten einflicht und auch Selbstironie und köstlichen Humor enthält. Trotz des lockeren Stils hat das Buch einen künstlerisch komponierten Aufbau, in dem Musikanalyse mit Erlebnisberichten und historischen Schilderungen verknüpft werden. So eröffnet die kurzweilige Lektüre einen Zugang zu Beethovens Streichquartetten auf vielen Ebenen und aus unterschiedlichsten Blickwinkeln – eine Beschreibung, die nicht nur das Verständnis für klassische Musik vertieft, sondern auch einen Blick hinter die Bühne des musikalischen Geschehens gestattet.
Die Lektüre ist schon für sich ein Gewinn, man kann sich aber natürlich daneben oder danach intensiv Beethovens Quartette anhören und wird immer wieder neue Entdeckungen machen und vielleicht feststellen, dass die Stücke unerschöpflich sind – für uns und wohl für viele künftige Generationen.