Walter Kugler im Gespräch mit Mateo Kries

Leben für das Design – Design für das Leben

Nr 142 | Oktober 2011

Was um Himmels willen zieht einen nach Weil am Rhein? Das im Dreiländereck Frankreich, Schweiz und Deutschland gelegene Städtchen selbst kann es ja wohl nicht wirklich sein, eine Ortschaft, wie man sie im Südbadischen zuhauf antrifft und als Reisender wohl wenig Anlass hat, dort halt zu machen. Oder doch? Und ob, denn Weil am Rhein hat Weltformat – wenn es um Architektur und wenn es um Design geht. Irgendwann in den 80er Jahren, nachdem ein Großbrand die Möbelfabrik Vitra mit der Zukunft konfrontiert hat, entschloss sich das Unternehmen, die Herausforderung anzunehmen. Und so entstand auf dem Fabrikgelände nach und nach ein Ensemble von Gebäuden, gestaltet von Architekten, deren Namen heute ganz oben auf der Liste architektonischer Begehrlichkeiten stehen wie Nicholas Grimshaw, Zaha Hadid, Frank Gehry, Tadao Ando. Denn den weit vorausschauenden Unternehmern war klar geworden: Die Qualität der erzeugten Produkte kann am besten vermittelt werden durch ein Höchstmaß an Qualität der Architektur. Jüngstes Schmuckstück ist das von Herzog & de Meuron erbaute VitraHaus, in dem der Möbelhersteller seine «Home Collection» präsentiert. In unmittelbarer Nähe befindet sich das bereits 1989 eröffnete Vitra Design Museum, ein von Frank Gehry expressiv geformter Bau mit sich überlagernden und durchdringenden Kuben, Türmen und Rampen, in dessen Räumen sich die Großen der Architektur und des Designs in immer neu gestalteten Ausstellungslandschaften ein Stelldichein geben. Viele Jahre hindurch hat Alexander von Vegesack das Ausstellungsgeschehen geprägt, nun ist eine neue Generation angetreten.
Einer der beiden neuen Direktoren ist seit Kurzem Mateo Kries, zuständig für das Programm des Museums – eine große, schlanke, jugendlich wirkende Erscheinung, die vor lauter Zurückhaltung, was sein Outfit betrifft, zwischen all den ihn umgebenden Design-Manifestationen geradezu zu verschwinden scheint. Kommt man mit ihm ins Gespräch, dann ist er zurück, ist präsent, wie es nur einer sein kann, der schon mehr als 15 Jahre im Dienste des Vitra Design Museums steht und dabei sein ureigenstes Interesse, seine Neugier, und seine Freude an Reflexion und manchmal auch an Provokation nie verloren und auch nicht verleugnet hat. Was tut sich im Kopf eines Ausstellungsmachers, wohin bewegt er sich, was hat er, was haben die Ausstellungen für eine Botschaft? Warum muss ich da hingehen? Das alles waren (und sind) Fragen, die sich in meinem Kopf drehten, als ich nach Weil fuhr. Die Designer-Stühle standen schon bereit, das Gespräch konnte beginnen …

Walter Kugler | Herr Kries, Sie haben schon mit 16 Jahren angefangen, Ausstellungen zu organisieren, haben nach ihrem Zivildienst in einem kleinen Privatmuseum ihres Onkels in Marokko assistiert und haben dann ab dem Jahr 2000 selbstständig Ausstellungen kuratiert, darunter «Automobility – Was uns bewegt», «Leben unter dem Halbmond – Die Wohnkulturen der arabischen Welt», «Le Corbusier – The Art of Architecture» und zuletzt «Rudolf Steiner – Die Alchemie des Alltags». Einmal abgesehen davon, dass die erste Ausstellung immer unter einem ganz besonderen Vorzeichen steht, so möchte ich Sie doch fragen: Welche dieser Ausstellungen hat in Ihnen selbst am nachhaltigsten gewirkt und warum?

Mateo Kries | Schwer zu sagen – die Arbeit an jeder Ausstellung ist wie eine lange Reise, man taucht ein bis zwei Jahre in eine völlig neue Welt ein. Mit den Ausstellungen über Le Corbusier oder Joe Colombo habe ich zum Beispiel intensiv die französische oder italienische Geschichte der Nachkriegszeit studiert. Bei der Ausstellung über arabische Wohnkulturen konnte ich an meine ersten Museumserfahrungen anknüpfen, die ich in Marrakesch gesammelt habe. Ach ja, und viel herum kommt man auch – meine erste eigene Ausstellung für das Vitra Design Museum hat 1997 in Caracas eröffnet …

WK | Im vergangenen Jahr erschien Ihr Buch Total Design. Da wird ja nicht im Hoch­glanzformat die Welt des Design irgendwie «abgefeiert», sondern engagiert Stellung bezogen und dem «schönen Schein» eine deutliche Abfuhr erteilt. Aus einer Chance, so schreiben Sie dort, ist ein Zwang geworden. Was meinen Sie damit?

MK | Man hat mit Design schon immer viele Hoffnungen verbunden – unsere Umwelt sollte schöner werden, Dinge sollten praktischer werden, der Benutzer sollte aufgeklärt werden, mit welchen Dingen er zu tun hat. Und ich gehe in meinem Buch nur der Frage nach, ob diese Hoffnungen wirklich immer erfüllt wurden. Aber daneben schreibe ich ja auch viel Persönliches und Anekdotisches – ich wollte eben eine unterhaltsame Einführung in Design schreiben, die das Thema auch persönlich beleuchtet. Und wer von uns hat nicht schon mal mit einem schönen, aber unpraktischen Gegenstand gekämpft!

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Fotos: © Wolfgang Schmidt (www.wolfgang-schmidt-foto.de)

WK | Ja, das kommt mir irgendwie bekannt vor. Aber gehen wir noch einen Schritt weiter. Sie haben Kunstgeschichte studiert, aber auch Soziologie. Lag das damals im Trend oder war es Ihnen schon damals bewusst, dass Kunst bzw. Design und Gesellschaft eng miteinander verknüpft sind bzw. die Nahtstellen erst noch so richtig freigelegt werden müssen? In eine solche Richtung hat sich ja – noch vor Ihrer Zeit – der Künstler Joseph Beuys bewegt.

MK | Nun ja, ein wenig missionarisch muss man schon sein, wenn man Ausstellungen und Bücher macht und ein Museum leitet. Ich hatte schon in meiner Jugend einen Hang zu gesellschaftlichen Fragen, und im Design werden die gesellschaftlichen Bezüge von Gestaltung ja noch viel deutlicher als bei der Kunst, weil es mit Industrie, mit Alltag, mit Ökonomie verknüpft ist.

WK | Kerngedanke in Ihrem Buch scheint mir zu sein, dass es zu begreifen gilt, dass die Frage nach dem Design immer auch eine gesellschaftliche Frage ist. Anders ausgedrückt: Es geht beim Design nicht darum, etwas für die zu schaffen, die schon alles haben, sondern auf höchstem Niveau und aus einem Höchstmaß an gesellschaftlicher Verantwortung heraus sinnvolle und nachhaltige Produkte für alle zu gestalten. Ist das eine bloße Wunschvorstellung oder gibt es da in Ihrem Kopf schon ganz konkrete Strategien?

MK | Denken Sie nur an den Trend zur Nachhaltigkeit, aber auch an Versuche, den Benutzer an der Produktion mancher Dinge teilhaben zu lassen, oder an neue, dezentrale Produktionsstrukturen. Und am Design von Dingen sind ja nie nur Designer beteiligt, auch Konsumenten und Hersteller spielen eine Rolle. Wenn wir eine bewusste Entscheidung treffen für ein qualitätsvolles Objekt – oder vielleicht auch mal dafür, bewusst nichts zu kaufen – senden wir ebenso ein gestalterisches Signal wie Hersteller und Designer. Darüber hat jeder Einzelne Einfluss darauf, wie oberflächlich oder wie sinnvoll die Produkte um uns herum sind.

WK | Anfang der 90er Jahre besuchte ich im Vitra Design Museum die Ausstellung über den «Tschechischen Kubismus 1910 – 1925» und war verblüfft über die Nähe der Formensprache, sowohl bei den dort gezeigten Möbeln als auch bei den Gebäuden, zu den Formen, die man auch bei Möbeln und Gebäuden Steiners in Dornach findet. Als ich das Museum verließ, dachte ich so bei mir: Das wäre wunderbar, hier auch einmal Arbeiten von Rudolf Steiner zu zeigen. Ja, und nun ist es so weit. In Kürze wird die von Ihnen und Julia Althaus kuratierte Ausstellung «Rudolf Steiner – Die Alchemie des Alltags» in Weil am Rhein zu sehen sein. Wie kam es eigentlich dazu?

MK | Unser Museum befindet sich nur wenige Kilometer von Steiners architektonischem Hauptwerk entfernt, dem Goetheanum in Dornach. Das ist bis heute eine architektonische Sensation, genauso wie die Möbel, die er dafür entwarf. Und dann stellte man in den letzten Jahren ja fest, dass viele von Steiners Impulsen sich langsam bis in die Mitte unserer Gesellschaft ausbreiteten, ob man sich nun Naturkosmetik, Waldorfschulen oder Produkte aus biologisch-dynamischer Landwirtschaft ansieht. Da dachten wir: Warum nicht mal jemanden in ein Designmuseum holen, der ein denkbar weit gefasstes Verständnis von Design hat, eines, das selbst ökonomische, ethische oder geistige Fragen in Verbindung mit Gestaltung bringt. Manche empfinden das als Provokation, andere als Aufklärung – es ist doch wunderbar, wenn eine Ausstellung polarisiert!

WK | Dem kann ich nur zustimmen. Rudolf Steiners Werk ist ja auch durchaus polarisierend. In der Frühphase, also in den beiden letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, war er leidenschaftlicher Goetheforscher und Philosoph, dann war er vor allem Autor und Vortragsredner, der sich mit geisteswissenschaft­lichen Themen wie dem Zusammenhang Mensch-Kosmos, mit dem nachtodlichen Leben und damit auch dem Thema Wiedergeburt und Schicksal befasst hat, und erst im letzten Drittel seines Lebens als Gestalter und Künstler wahrgenommen wurde. Wie präsentieren Sie das alles in Ihrer Ausstellung?

MK | Wir steigen mit einem Blick auf Steiners Philosophie ein. Dazu haben wir zum Beispiel eine Wand aus den über 300 Bänden seiner Gesamtausgabe gebaut, die ist allein schon als Skulptur beachtlich. Dann gibt es einen Überblick über seine Vita, aber auch über Steiners enge Verflechtung mit seiner Zeit, wir zeigen zum Beispiel Briefe von Kafka oder Mondrian an Steiner. Ein weiterer Bereich widmet sich Steiners Architektur und Design, da sind Modelle des Goetheanums ebenso zu sehen wie Möbel, Filme, Kunstwerke. Und am Schluss der Ausstellung zeigen wir Steiners Wirkung bis heute, sei es im Bereich der Heilkunde, der Landwirtschaft oder der Kunst. Durch die ganze Ausstellung ziehen sich Überraschungen, etwa Filme wie Das Kabinett des Dr. Caligari oder Kunstwerke von Kandinsky, Feininger, Beuys oder Eliasson. Wir wollten Steiner eben «entsteinern», wie einer meiner Museumskollegen gesagt hat.

WK | Was möchten Sie zum Schluss den Leserinnen und Lesern noch sagen? Ich vermute mal: Kommen Sie nach Weil und schauen Sie sich die Ausstellung an.

MK | Naja, sagen wir es so: Werden Sie neugieriger auf die gestalteten Dinge um Sie herum, dann werden Sie irgendwann ohnehin in einer unserer Ausstellungen landen. Rudolf Steiner ist ein guter Einstieg. Und im nächsten Herbst zeigen wir dann «Pop Art Design» – das ist das perfekte Kontrastprogramm, um gleich noch mal wiederzukommen!