Sabine Stamer & Tom Buhrow im Gespräch mit Doris Kleinau-Metzler

Deutsch-amerikanische Erfahrungen

Nr 155 | November 2012

Die Journalistin Sabine Stamer und der ARD-Tagesthemen-Moderator Tom Buhrow sind ein Ehepaar, das auch gemeinsam arbeiten kann, obwohl sie zu manchen Themen (wie zur Religion) andere Einstellungen haben. Sie akzeptieren sich, ohne die Gegensätze zu verbergen. Vielleicht erwächst gerade aus dieser Fähigkeit die Anschaulichkeit und Vielschichtigkeit ihres Buches «Gebrauchsanweisung für Washington». Zehn Jahre war Tom Buhrow der ARD-Korrespondent in Washington und berichtete hautnah von den politischen Geschehnissen dort. Aus dem Leben der beiden Journalisten mit ihren Kindern in der amerikanischen Metropole ist das Buch entstanden. Sie erlebten den American Way of Life ganz praktisch und in aller Widersprüchlichkeit, von Freiheit bis zur Rassenfrage. Geblieben ist eine große Sympathie für ihr «second home», dieses auch mit vielen Klischees behaftete Land. Sabine Stamer und Tom Buhrow haben aus den USA vor allem ein positives Lebensgefühl mitgebracht, das unseren Blick auf die amerikanische Politik, aber auch auf uns selbst erweitern kann.

Doris Kleinau-Metzler | Herr Buhrow, war es Zufall oder Ihr Wunsch, dass Sie so lange Jahre in Washington gearbeitet haben?
Tom Buhrow | Ich bin als Teenager von 1974 bis 1976 in den USA gewesen, in der Provinz, war aber schon vorher von der amerika­nischen Kultur fasziniert, besonders von Blues und Rockmusik. In dieser Gegenkultur drückte sich für mich eine unbekannte Freiheit aus, auch wenn ich erst elf war, als das legendäre Woodstock-Festival stattfand. 1974 war eine Reise in die USA noch viel aufwendiger (kein Internet, Telefonieren nach Deutschland war extrem teuer), aber in der Weite des Landes, die ich oft auch als Weite in den Köpfen erlebt habe – mit viel Freundlichkeit –, habe ich mich wie erlöst gefühlt. In Deutschland wurde man nach meinem Gefühl immer schnell in irgendwelche Schubladen gesteckt, aber hier erschien mir alles möglich. Ich hatte immer den Traum, beruflich irgendwann wieder dorthin zu gehen.
Sabine Stamer | Und deshalb hat er auch vor unserer Ehe gesagt: «Wenn du mich nimmst, dann musst du mit nach Amerika.»

DKM | Wenn man die letzten 60 Jahre zurückschaut, hat sich das Amerikabild in Deutschland gewandelt – von den Befreiern der Nazidiktatur über das Land der unbegrenzten Möglichkeiten hin
zu den massiv Kritisierten, vor allem wegen der militärischen Aus­lands­einsätze. Bewunderung für diese politische und wirtschaftliche Großmacht scheint sich in Angst vor weiterer Dominanz und Ab­lehnung der konsumorientierten Lebensart gewandelt zu haben.
TB | Ich glaube, das derzeitige Amerikabild in Deutschland wird von zwei Faktoren geprägt: Zum einen hat das Land durch die Terror­anschläge vom 11. September seine Unbefangenheit und Offenheit verloren, was sich auch in Verschärfungen wie den Grenzkontrollen für Besucher auswirkt und viele abschreckt. Zum anderen denke ich, dass manche allgemeinen Vorbehalte gegen die USA mehr über uns als über dieses Land aussagen: Durch die Wiedervereinigung ist Deutschland gewachsen und aus dem Schatten dieses mächtigen «Onkels» herausgetreten. Bis zum Fall der Mauer hatte die Mehr­heit der Bevölkerung das Gefühl: Das ist unsere Schutzmacht gegen­über dem Ostblock. Aber jetzt sind wir ein souveräner Staat (vorher nicht) und müssen unsere eigene Rolle in Europa und der Welt suchen. Und wenn man seine eigene Rolle sucht, gehört dazu, sich von denen abzugrenzen, von denen man vorher abhängig war.
SST | Viele Amerikaner reagieren auch sehr empfindlich, wenn die alten Verbündeten nicht tun, was sie vorgeben. Es gab aber wohl schon immer kulturelle Unterschiede zwischen den beiden Ländern und auch Grundvorbehalte gegen die USA. Das gibt es auch unter Partnern. Frankreich gegenüber haben wir gemeinhin weniger Vorbehalte, es wird unbefangener bewundert. Amerika ist einfach auch größer und mächtiger, das fordert zur Selbstbehauptung heraus. Bei uns wird zudem schnell ideologisch geurteilt, das heißt Land und Leute werden nach den politischen Parteien beurteilt, die gerade an der Macht sind. Unter Bush wuchs das Misstrauen gegenüber allem Amerikanischen, mit Obama erscheinen Land und Leute wieder sympathisch. Das kann ich nicht nachvollziehen:
Waren wir Deutschen anders, als Kohl Kanzler war, als unter Schmidt oder Schröder? Hatte das wirklich einen großen Einfluss auf unseren Alltag, unser Leben und unsere soziale Kultur?
TB | Man sollte zudem nicht vergessen, dass so ein Wahlausgang oft äußerst knapp ist, meistens 52 : 48, auch bei uns. Allein aus einer kleinen Mehrheit ergibt sich kein komplett anderes Bild der gesamten Gesellschaft.

  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
Fotos: © Fotos: Wolfgang Schmidt (www.wolfgang-schmidt-foto.de)

DKM | «Freiheit» ist ein Begriff, der für die USA immer wieder auftaucht, von der Verfassung bis zur Abwehr von staatlichen Ein­griffen. Wie haben Sie das erlebt?
TB | In Ländern wie Polen und eben auch der USA ist der Begriff der Freiheit zentral, und man weiß, dass sie in der Realität immer in einem Spannungsverhältnis steht. Im Gegensatz dazu wird in Deutschland in der öffentlichen Diskussion manchmal heraus­gestellt, dass der Begriff der Freiheit überbewertet sei. Stattdessen wird mehr Gerechtigkeit eingefordert. Konsens besteht in Deutsch­land eher über die Notwendigkeit sozialer Absicherung für alle Bürger; auch eine weitgehende Angleichung der Lebens­verhältnisse in allen Bundesländern gilt als erstrebenswert und möglich. Indem wir dazu tendieren, vorhandene Unterschiede hauptsächlich als etwas Negatives zu sehen, betonen wir gleichzeitig diese Unter­schiede, statt die Gemeinsamkeiten zu sehen.
SST | Eigentlich ist Freiheit in den USA im Alltag immer präsent, auch als positive Offenheit. Amerikaner gehen auf andere Men­schen zu und nehmen grundsätzlich an, dass der andere in Ordnung ist und etwas kann – während wir bei Unbekannten und Neuem eher skeptisch und abwartend sind. Wenn man zum Beispiel beruflich etwas Neues machen will, erfährt man in den USA oft Er­mutigung und jeder sagt: «Probier das mal, das ist eine Super-Idee!» Hier würde es eher heißen: «Kannst du das überhaupt, ist das auch sicher?» Oder man sagt einfach gar nichts!
TB | Es gibt keine Neidkultur in den USA. Einer unserer Nachbarn sagte einmal den Satz: «We love others to succeed» (wir freuen uns, wenn andere Erfolg haben) – und dafür reichen sie auch gern die helfende Hand. Hier in Deutschland hat man manchmal das Gefühl, als ob es einen festgelegten Erfolgswert zu verteilen gäbe – und wenn jemand anderes Erfolg hat, geht das auf meine oder anderer Leute Kosten. Doch aus Initiative kann sich für andere so viel Positives entwickeln (darauf beruht ja auch unsere Wirtschaft mit der Schaffung von Arbeitsplätzen durch Innovation). Aber natürlich sind die USA im Alltag nicht das Paradies auf Erden, gerade aus den Konsumzielen erwächst viel sozialer Druck. Und zu den Schattenseiten gehört aus deutscher Sicht sicher die unge­nügende soziale Absicherung weiter Kreise der Bevölkerung.

DKM | Sie berichten auch von ungeschriebenen Regeln, an die man sich halten sollte.
SST | Wenn man längere Zeit in den USA wohnt, erlebt man manches, was ich vorher als typisch für Deutschland angenommen hätte: So soll man in bestimmten Wohngegegenden keine Wäsche im Garten aufhängen, denn die Leute könnten denken, man habe kein Geld für einen Wäschetrockner – und das könnte ein Zeichen für den sozialen Niedergang dieser Gegend sein. Manchmal ist aus ähnlichen Gründen vorgeschrieben, wie hoch das Gras im Garten sein darf. Und niemand käme auf die Idee, mit einem Polizisten zu diskutieren anstatt einfach seinen Anweisungen zu folgen.

DKM | Erstaunlich, wie sehr auch in Washington (seit den 50er Jahren mehrheitlich von Afroamerikanern bewohnt) die Rassen­problematik noch ein Thema ist. Warum?
SST | Ja, auch wenn die Menschen in Washington in Behörden und Firmen zusammen arbeiten, gehen sie nach Feierabend über­wiegend eigene Weg und wohnen in rein weißen, rein schwarzen oder Einwanderer-Gegenden. Ich denke, dass unausge­sprochene Berührungsängste dahinterstecken, manchmal vielleicht sogar eine Art Schuldgefühl der Weißen gegenüber den Schwarzen, die so lange versklavt waren. Einige versuchen das durch extra freund­liches Verhalten auszugleichen, aber die Unsicherheit, wie das aufgenommen wird, bleibt. Das Thema scheint von unverarbeiteten Ressentiments, Schuldgefühlen und Unsicherheit geprägt – von beiden Seiten aus. Dazu kommt noch die hohe Kriminalität gesellschaftlich benachteiligter Gruppen in einigen Wohnvierteln. Das löst Angst aus. Ein vielschichtiges Problem.

DKM | Beim Wahlkampf um die amerikanische Präsidentschaft hatte man in Deutschland wieder er­staunt die Bedeutung der Religion für die Kandidaten und ihre öffentliche Darstellung registriert.
SST | Auf der einen Seite ist Religion absolute Privatsache, und niemand fragt, ob man Buddhist, Christ oder Hindu sei. Amerikaner suchen sich ja die eigene Kirche aus und finanzieren sie durch freiwillige Beiträge. Viel mehr Menschen als bei uns nehmen regelmäßig an Gottesdiensten teil, Religion ist Teil ihres Familienlebens. Oft haben wir gehört, wenn zum Beispiel unsere Tochter eine lange Reise vorhatte: «Wir beten für sie.» Die Menschen haben Verständnis für alle Religionen, nicht aber für den Atheismus. Sie können nicht verstehen, dass jemand sagt: «Ich bin ungläubig, ich glaube an nichts.»
TB | Beim Umgang mit der Religion in den USA und Deutschland spielt die Geschichte sicher eine große Rolle: In Europa ist die politische Emanzipation hin zur Demokratie gegen die Fürsten und oft auch die mit ihnen verbündeten Institutionen der Kirchen erkämpft worden. Dagegen ist die amerikanische Freiheitsbewegung, die Entstehung der Nation, erkämpft worden durch die Religion, mit der Religion, denn die frühen Auswanderer aus Europa haben religiöse Freiheit gesucht. Dazu kam das gemeinsame Erleben in religiösen Gruppen, manchmal verbunden mit Erweckungserlebnissen. Mit anderen Worten: In der Geburtsstunde der amerikanischen Unabhängigkeit – also Freiheit als Nation – spielt die Religion die Rolle des Geburtshelfers.

DKM | Was haben Sie aus der langen Zeit in Washington mit nach Deutschland gebracht?
SST | Ich habe mir beispielsweise vorgenommen, dass ich etwas von dem Offenen, Positiven hier einbringe und weniger misstrauisch und skeptisch bin. Wir reden zum Beispiel viel mehr über das Thema Umweltschutz hier – das sehe ich als positiv an, aber manchmal scheint das auch mit einer Art «Lust» verbunden, sich zu beschränken und rigorose Forderungen an andere zu stellen. Amerikaner fragen sich eher: Wie können wir unser Leben so gemütlich halten, wie es ist, und trotzdem Energie sparen? In Deutschland ist schnell von Verzicht die Rede. – Ganz praktisch unterstützen wir das Projekt Generations­brücke Deutschland, das durch den Leiter eines Pflegeheims, Horst Krumbach, aus den USA «importiert» wurde. Die Generationsbrücke bringt Kindergartengruppen und Schul­klassen und pflegebedürftige alte Menschen zusammen auf der Grundlage eines Programms, das gemeinsame Aktivitäten betont.