Tom Hillenbrand im Gespräch mit Ralf Lilienthal

Tatort Luxemburg

Nr 167 | November 2013

Handelsblatt, Wall Street Journal Europe, Financial Times Deutschland … Wer für diese Zeitungen gearbeitet hat und dann als Wirtschaftsredakteur zu Spiegel Online wechselt und dort u.a. Ressortleiter für den Bereich Auto wird, hat scheinbar die idealen Voraussetzungen, um erfolgreich ins Krimi-Fach zu wechseln – aber nur, wenn dahinter ein so neugieriger Mensch
wie der Autor Tom Hillenbrand steckt.

Ralf Lilienthal | Vom «Ergebnis» her zurückgeschaut, sind Kind­heiten besonders spannend. Aus welchen Welten – den realen und den Phantasiewelten – kommt der Onlineredakteur, Glossen- und Krimischreiber Tom Hillenbrand?
Tom Hillenbrand | Als Kind war ich nicht der Gedichte- oder Kurzgeschichtenschreiber. Aber ich habe irrsinnig viel gelesen. Kein Wunder, wenn man aus Pinneberg stammt, wo eigentlich gar nichts ist, außer dem größten zusammenhängenden Baumschulgebiet Europas. Meine Kindheit war behütet und etwas langweilig. Bis zu der Zeit, wo es mit den Mädels losgeht, war ich, was man heute einen «Nerd» nennen würde. Das Internet gab es zwar damals noch nicht, aber Mailboxen und Chatforen, die man mithilfe des Bundespost-Wählscheibentelefons und einem Akustikkoppler anfunken konnte. Richtig viel Zeit ging mit Fantasy-Rollenspielen drauf, wo man mit mehreren Leuten am Tisch saß, einer war der Spielleiter, die anderen waren Zauberer, Zwerge, Elfen und so weiter. Der Spielleiter gab die Konstellation vor – z.B. Drache raubt Prinzessin – mit einem sehr detaillierten Szenario, klar definierten Regeln und dem Würfel als Vorläufer des Zufallsgenerators.

RL | Worin lag und liegt für Sie die Faszination dieser Spiele?
TH | Dass man jemand sein konnte, der man nicht ist. Es ging auch um Flucht, um Eskapismus. Bei den Pen-and-Paper-Spielen saßen zumeist nicht die Sportskanonen zusammen, sondern eben die Nerds. Vorher hatte man vielleicht den Herrn der Ringe gelesen oder Perry-Rhodan-Hefte verschlungen. Und plötzlich konnte man so was spielen – das hatte einen wahnsinnigen Appeal!

RL | Gab es weitere inspirierende Impulse?
TH | Es gab einen «School Exchange» nach Amerika, von dem meine Mutter später gesagt hat: «Danach warst du nicht mehr derselbe». Mit Siebzehn einmal komplett von zu Hause abgekoppelt sein, bei einer Gastfamilie mit total anderer Familienaufstellung – da wird dir manches klar, was du als Fünfzehnjähriger nur als Un­wohlsein gefühlt hast. Während es bei uns zu Hause ganz klassisch ablief – der Vater verdient das Geld, die Mutter bringt das Essen pünktlich auf den Tisch – waren meine Gasteltern total locker und weniger rollentypisch. Die Kinder waren schon etwas älter und liefen an der ganz langen Leine, die Mutter machte noch mal eine Ausbildung als Gebärdendolmetscherin und alle lebten, wie es gerade kam. Als ich wieder zurück war, fand ich alles ätzend, hab’ nur noch Punk gehört, mir die Haare grün gefärbt, in der Antifa und bei antiimperialistischen Demos mitgemacht.

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RL | «Dagegen» zu sein, ist Fluidum der Jugend. Positive Inhalte setzen, ist dagegen schwer, vor allem wenn es um berufliche Lebens­entscheidungen geht. Wie war das bei Ihnen?
TH | Ich wollte vor allem erst mal weg. Während viele meiner Freunde in Hamburg studierten, bin ich ins Ruhrgebiet, nach Duisburg, gezogen, um Ostasienwissenschaften zu studieren, hatte aber keine Ahnung, was mich da erwarten würde. Insbesondere der Japanisch-Unterricht war wirklich hartes Brot: Ein kompliziertes Zeichensystem, keinerlei phonetische Wiedererkennung, keine sprachlichen Referenzen aus den europäischen Sprachen. Unter­richtet von japanischen Lehrern, die von ihren Studenten gnadenloses Pauken erwarteten. Als ich dann zu meiner Freundin nach Essen gezogen bin, kamen mir die ersten Semester des dort neu aufgenommenen Politologiestudiums ziemlich easy vor. Das Fach hat mich dann wirklich interessiert. Nach einer Diplom­arbeit über die Europäische Union wollte ich darüber auch promovieren. Mit einer Note von 1,3 würde mir jede Universität mit Handkuss eine Drittmittelstelle anbieten – dachte ich. Aber weit gefehlt! Meine akademische Laufbahn war beendet, bevor sie richtig be­gonnen hatte. Doch es tat sich etwas anderes auf: Eine Stelle als Redaktionsassistent für ein neues Anlegermagazin der Verlagsgruppe Handelsblatt. Ich hatte schon vorher Praktika bei verschiedenen Zeitungen gemacht und gemerkt, dass mir das Schreiben liegt.

RL | Die Zeitungsmacher offensichtlich auch. Der Karrierezug hat dann ziemlich schnell Fahrt aufgenommen!?
TH | Nach drei Monaten wurde mir ein Volontariat angeboten. Eine achtzehnmonatige Traineeausbildung mit je drei Wochen Rotation durch die Redaktionen der Verlagsgruppe und je einer Woche Unter­richt in der renommierten Düsseldorfer Georg-von-Holtz­brinck-Schule. Wer da rauskam, konnte ziemlich sicher mit einer Karriere bei einem «A-Medium» rechnen. Jobs in der Provinz oder gar in einem Online-Medium hattest du dann nicht mehr nötig.

RL | Weshalb Tom Hillenbrand prompt bei Spiegel Online anheuerte.
TH | Alle haben mich gewarnt: «Du ruinierst dir deine Karriere!» Aber ich fand «Online» gut! Ein zeitgemäßes, schnelles Medium. Außerdem waren da clevere Jungs in der Verantwortung; als alle anderen hektisch zu sparen anfingen, haben die durchgezogen, haben Leute eingestellt, investiert und sind seitdem zum absoluten Leitmedium geworden.

RL | Sie selbst waren drei Jahre Ressortleiter «Auto», was etwas seltsam anmutet, obwohl der Titel Ihrer regelmäßigen Kolumne «Abge­fahren» einen typisch Hillenbrand’schen Klang anschlägt.
TH | Es ist fast alles interessant, wenn man sich intensiv damit beschäftigt. Außerdem brachte ich drei wichtige Quali­fikationen mit: Ich kannte mich mit Wirtschaft aus und hatte Er­fahrungen mit großen Unternehmen. Ich kannte mich in dieser Phase der «Grünen Autos» mit Technik aus. Und vor allem war ich völlig unbeeindruckt von Drehmomenten und Hubraum. In einer Branche, in der «Beatmen» von Bericht­erstattern zum Geschäft gehört, keine schlechte Voraussetzung für kritischen Journalismus.

RL | Wenn Sie Ihre wirtschaftsjournalistische Vergangenheit über­blicken und bewerten – welche Nuggets haben sie in dieser Zeit aus dem Fluss gewaschen?
TH | Beim Tagesmedium lernt man das Handwerk, generiert riesige Textmengen, lernt sauber recherchieren und montieren. Und man lernt, wie hart das Leben da draußen ist! Bei Spiegel Online fangen die Schichten um 7.00 Uhr morgens an, da musst du sofort hellwach sein. Für eine Eilmeldung mit Leadsatz und Vorspannzeile hast du ein Zeitfenster von zwei Minuten, danach steht der CvD (Chef vom Dienst) schon neben dir und fragt: «Wo ist meine verdammte Meldung?». Und wenn du kritisch oder investigativ über ein Unter­nehmen schreibst, das Milliarden wert ist und dem die Börse im Nacken sitzt, kriegst du von denen richtig Druck. Und natürlich lernt man viel über Menschen und Orte, wird kosmo­politischer. Gerade bei Redaktionen wie Spiegel Online, die ihre Leute raus­geschickt haben, um sich die Sachen selbst anzuschauen. Ich war in Paris, Barcelona und Cannes, habe – mit einer Packung Kaker­lakenköder im Gepäck – drei Monate in einem Loch in der New Yorker Lower Eastside gelebt …

RL | … während irgendwo in der Tiefe der Romanschriftsteller in Ihnen erwachte und seinen ersten Krimi begann?
TH | Obwohl ich fünfzehn Jahre nicht viel mehr gemacht habe, als Sachverhalte journalistisch widerzugeben, hat es mich schon früh zur eigentlichen Literatur hingezogen. Die Konstruktion der Plots als Fantasy-Spielleiter, meine Glossen und Kolumnen – Sachen auf­saugen und kreativ verknüpfen, hat mir immer am meisten Spaß gemacht. Es war klar, dass ich eines Tages bei der Belletristik landen musste, zumindest erscheint mir das rückblickend logisch.

RL | Tatsächlich haben Sie mit TeufelsfruchtRotes Gold und Letzte Ernte – Krimis um den «Ermittler-Koch» Xavier Kieffer – einen furiosen Start in einer Literaturgattung hingelegt, die nicht gerade arm an interessanten Charakteren, Plots und Tatorten ist. Wie hat Kieffer, ein luxemburgischer Restaurantbesitzer mit Haute-cuisine-Vergangenheit, den Weg in Ihren Laptop gefunden?
TH | Der Nukleus zu Teufelsfrucht war ein Fernsehbericht über einen Foodscout, der in Ostasien unbekannte Nahrungsmittel aufspürt, um sie europäischen Köchen anzubieten. Den Stoff habe ich sicherlich fünf bis sechs Jahre mit mir rumgetragen, bevor ich mit dem Schreiben begann. Anfangs war überhaupt nicht klar, dass ein Koch der Protagonist sein würde. Es gibt ja gewöhnlich zwei Arten von Ermittlern: Die einen zahlen davon ihre Miete, die anderen, nicht professionellen, wie Miss Marple oder Pater Brown, haben einen Riesenspaß daran. Kieffer hat weder Spaß noch irgendeine Qualifikation. Und dass er gerade in Luxemburg lebt, ist der Tatsache geschuldet, dass die Stadt in jeder Hinsicht wie geschaffen für Krimis ist. Die Europäische Union ist dort ebenso präsent wie die internationale Hoch­finanz. Alabasterfassaden und Stahlglaskonstruktionen prägen das Ortsbild genauso wie mittelalterliche Gassen und sozialer Wohnungsbau. In diese Stadt kannst du jeden glaubhaft ansiedeln: Diplomaten und Geheimdienstler, reiche Russen oder chinesische Händler. Die Wege sind kurz und machen die Handlung schnell. In einer Viertelstunde ist man an jedem Ort der Stadt. Maximal zwei Stunden braucht man, um ins Saarland, nach Brüssel oder Paris zu gelangen. Und was das Kulinarische betrifft – es gibt nirgendwo auf der Welt mehr Michelin-Sterne pro Kopf der Bevölkerung als gerade hier. Und nicht zuletzt: Ich habe in meiner Politologiezeit zwei Monate in Luxemburg gelebt!

RL | Ein deutscher Autor wählt einen Auslands-Tatort – wie haben die Luxemburger darauf reagiert?
TH | Ein solches Buch zu schreiben ist gefährlich. Weil man inhaltlich viel falsch machen kann. Vor allem aber, weil sich die Leute nicht von einem Ausländer ihr Land erklären lassen wollen. Die Kieffer-Krimis stehen in Luxemburg auf den Bestsellerlisten – was eigentlich das größte Wunder ist!

RL | Wohin geht die belletristische Reise Tom Hillenbrands? Wer Kieffer und seine markanten Mitstreiter kennengelernt hat, erwartet mehr vom Gleichen!?
TH | Noch habe ich selber Spaß daran und eine vierte Geschichte steht in groben Zügen schon vor mir. Aber ich bin weder auf das Kulinarische noch auf Krimis festgelegt. Das Eigenartige des Krimis ist ja, dass er stets rückwärts läuft: Warum wurde der umgebracht? Wer war der Täter? Beim Thriller geht es nach vorne: Da ist die Bombe und die muss entschärft werden – auch eine solche Story fände ich reizvoll.