Nina Petri im Gespräch mit Maria A. Kafitz

Unabhängig und sprachverliebt

Nr 190 | Oktober 2015

Es gibt Gesichter und Stimmen, die sieht und hört man und hat sie dennoch bereits nach wenigen Momenten wieder vergessen. Und es gibt jene, an die erinnert man sich auch nach Jahren sofort wieder, wenn sie auf der Leinwand erscheinen oder aus einer Box erklingen. Zu Letzteren gehört die in Hamburg geborene Schauspielerin und Sprecherin Nina Petri (www.ninapetri.de). Nach der Ausbildung an der Westfälischen Schauspielschule in Bochum wurde sie, obwohl alleinerziehende Mutter von Zwillingen, durch zahlreiche Rollen im Fernsehen und bei internationalen Filmproduktionen bekannt und erhielt u.a. für «Die tödliche Maria» den Bayrischen Filmpreis sowie für «Lola rennt» und «Bin ich schön?» den Deutschen Filmpreis. Mit ihrer Band «Nina between Don & Ray» erobert sie nun auch als Sängerin die Bühne und wurde als Sprecherin zahlreicher Hörbücher u.a. 2013 mit dem Deutschen Kinderhörbuchpreis BEO ausgezeichnet.

Maria A. Kafitz | Frau Petri, Sie haben einmal Pippi Langstrumpf als Heldin Ihrer Kindheit bezeichnet. Wie viel von ihr steckt heute noch in Ihnen?
Nina Petri | Dass Pippi meine Heldin war, liegt ja im Grunde ge­nommen auf der Hand, weil ich als kleines Mädchen so aussah. Außerdem ist sie einfach eine tolle Mädchenfigur, ein tolles Vorbild. Sie steckt insofern auch noch sehr in mir, da ich nicht immer den geraden Weg gesucht habe, sondern meinen eigenen gegangen bin, irgendwie auch aufmüpfig war, nicht immer gehorcht habe, eher Schwierigkeiten mit Autoritäten hatte. Wenn jemand mir überlegen war, weil er mehr wusste oder stärker war, dann konnte ich das akzeptieren. Aber wenn jemand Macht ausüben wollte, dann hatte ich damit Probleme – bis heute. Auch deshalb bin ich ganz froh, dass ich in meinem Leben eigentlich immer unabhängig war und keinen Chef hatte, jedenfalls nicht für längere Zeit.

MAK | Diese Form von Unabhängigkeit hat früh begonnen. Sie sind bereits mit siebzehn ausgezogen, haben trotzdem die Schule abgeschlossen und begonnen, auf eigenen Füßen zu stehen.
NP | Das stimmt. Viel möchte ich darüber aber gar nicht sagen, denn das ist natürlich aus einer Not entstanden. Ich bin tatsächlich weggelaufen von zu Hause, weil ich es nicht mehr ausgehalten habe, und bin auch bis zum heutigen Tag froh darüber. Ich habe mir damit etwas zugemutet, was eigentlich gar nicht geht, und habe es dennoch geschafft. Aber das war ein schwerer Weg. Letztendlich spüre ich bis zum heutigen Tag, was das für Spuren hinterlassen hat. Wenn man so dahingeworfen wird, dann muss man vor allen Dingen, wenn man tatsächlich groß und erwachsen ist, schauen, dass man nicht ständig in diesem Kampfmodus lebt – in diesem «Überlebenskampfmodus». Das ist mir natürlich im Lauf der Zeit immer besser gelungen, aber diese Tendenz bleibt irgendwie.

MAK | Wer nicht gleich aufgibt, der erweitert auch die Spielarten, um ans Ziel zu kommen. Das haben Sie ja auch in Bezug auf die Schauspielerei getan. War dieser Berufswunsch alternativlos?
NP | Die Schauspielerei stand schon fest, als ich noch ganz klein war, und es war klar, dass ich Schauspielerin werden möchte und dafür alles tun würde. Da gab es nie einen Zweifel. Und dann hab ich’s «einfach» gemacht – und in Bochum auch einen Studien­platz bekommen. Später kamen dann neben dem Theater noch Film-, Fern­seh- und Hörbuchproduktionen dazu.

  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
Fotos: © Wolfgang Schmidt | www.wolfgang-schmidt-foto.de | Durch die Bildergalerie geht's per Klick auf die Klammern

MAK | Nur das Schreiben haben Sie bis dato ausgelassen. Warum?
NP | Ich arbeite immerhin daran, eigene Musikstücke zu schreiben. Ich wünschte jedoch, ich könnte «richtig» schreiben, aber irgendwie kann ich es nicht. Da mache ich immer noch einen großen Bogen drum. Ich war außerdem immer schon schreibfaul. Ich denke gerne und wünschte, dass meine Gedanken einfach so plupps auf Papier stünden … Aber der Vorgang des Schreibens, ob nun tippen oder in Schönschrift, da hatte ich schon immer schlechte Noten.

MAK | Wobei Sie unentwegt mit Sprache und Texten umgehen – nun sogar als Sängerin mit Nina between Don & Ray an der Seite von Rainer Lipski (alias Don) am Piano und dem Bassisten Norbert Hotz (alias Ray).
NP | Literatur, Sprache an sich – das war auch mit einer der Gründe, warum ich zum Theater wollte. Das ist für mich wie ein gutes Essen. Schön geschriebene Texte sind ein Genuss – im Mund, im Kopf, im Herzen, überall. Und die deutsche Sprache bietet da wahnsinnig viel. Damit kann man richtig zaubern. Sprache in den Mund zu nehmen, das mag ich sehr gerne. Da entstehen auch sofort Bilder, und sie auszudrücken, finde ich faszinierend.

MAK | Sie werden oft als «stark», «spröde», «selbstbewusst», aber «verletzlich» charakterisiert. Und es wird gerne auf Ihr Alter hingewiesen, das man Ihnen kaum anmerke – als wäre gerade das eine Leistung. Was halten Sie von solchen «Beurteilungen»?
NP | Es ist natürlich so, wenn man jung ist (bei mir war es jedenfalls so und erst recht als Schauspielerin), sieht man immer nur den Spiegel, den die anderen einem vorhalten oder wie die anderen einen sehen. Ich habe mich jahrelang gewundert, was da eigentlich in mir gesehen wird, für mich hatte das oftmals gar nichts mit mir zu tun. Logisch nicht! Ich bin ja auch ich, und die Schauspielerin Nina Petri ist ja eine Figur. Dieses Image von «stark» oder «spröde» oder «blabla» – man versucht, entweder dagegen anzugehen, was Kraft kostet, oder man versucht das zu sein, was die anderen so gerne in einem sehen wollen. Das ist übrigens so herrlich am Älterwerden: Mir zumindest geht es inzwischen so am A… vorbei, was Leute oder diese ganze Männergesellschaft, die in meiner Branche ja vorherrschend ist, und auch viele Frauen denken. Das ist mir ganz egal geworden. Ich kann mich auch nicht damit identifizieren. Ich habe zum Glück irgendwann damit aufgehört, mich darüber aufzuregen. Es ist halt, wie es ist, ich kann es nicht ändern. Es wird behauptet, die Massen wollen immer nur das Gleiche sehen, die gleichen Klischees, die ewig schönen und unwiderstehlichen Typen. Tja, so ist das dann eben! In dem Moment aber, wo man anfängt, sich frei davon zu machen, da wird der Kopf auch frei. Dann findet man auch eher die Antwort auf die Frage: Was möchte ich denn eigentlich machen? Wie sehe ich mich?

MAK | Sie haben jüngst ein Hörbuch für Kinder eingesprochen – Kleiner Fuchs. Großer Himmel* –, in dem es um den Tod und die ewigen Fragen geht: Was war davor und kommt danach? Auch in Ihrem Leben haben Sie selbst schon früh diese Fragen gestellt. Denn während andere intensiv die Pubertät durchleben, haben Sie nach einem schweren Unfall eine anders intensive Zeit im Krankenhaus verbracht und Gevatter Tod zumindest kurz kennengelernt.
NP | Das stimmt. Aber der Unterschied ist, wenn man selbst dem Tod quasi in die Augen schaut, ist es etwas ganz anderes, als wenn man jemanden verliert, der einem lieb und teuer ist, weil man dann ja zurückbleibt. Ich glaube, ich hatte so eine Art Nah­toderfahrung. Der Tod war eine Option, war gar nichts Schlimmes oder etwas Bedrohliches. Für mich – was ich noch erinnern kann, ohne das jetzt schönzureden – war es diese Grenze, wo ich mich habe entscheiden können, ob ich auf dieser Seite bleibe oder auf die andere Seite wechsle. Ich habe da immer mal rübergeschaut ein paar Tage lang. Natürlich war das auch organisch, mein Körper war halt nicht tot, sondern ich bin immer wieder wach geworden. Es war aber ein großer Sog dahin, weil es auch eine große Leichtigkeit hatte. Das war schon ganz schön verrückt! Und das Verrückteste war, dass ich, als ich dann wieder nach etwa einem halben Jahr aus dem Krankenhaus herausgekommen bin, auch wieder lernen musste zu laufen, mich zu erinnern und so weiter, keine Todesangst mehr hatte. Mich hat das total irritiert, weil ich wusste, so geht das nicht, so kann man nicht leben; man kann nicht leben, ohne dass man weiß, wo die Gefahr ist – wo das Leben aufhört und der Tod anfängt.
Erst vor einigen Jahren habe ich einen Film (Fearless / Jenseits der Angst) mit Jeff Bridges ge­sehen, in dem genau dieses Phänomen behandelt wird. Endlich hatte ich dafür einen Beleg bekommen. Er überlebt einen Flug­zeugabsturz und bekommt es nicht mehr geregelt mit dieser Todes­angst. Sie ist einfach weg, da ist keine Grenze mehr. Das war für mich sehr tiefgehend, das musste auch ich wieder richtig lernen, musste mir gewahr werden: Moment mal, du hast dich entschieden, also pass einfach auf, schau hin, riskiere nicht zu viel!

MAK | Wie aber lernt man, wieder Angst zu haben?
NP | Ich habe das nie psychologisch untersuchen lassen damals, ich habe nie mit jemandem darüber sprechen können, denn das hört sich so verrückt an. Es war etwas, das ganz schwer zu teilen war. Und es ist ja zum Glück auch nichts passiert, wenn ich beispielsweise einfach so über die Straße ging, ohne nach rechts oder links zu schauen. Ich musste mir ganz bewusst wieder klarmachen: Ich werde nicht gesteuert, es geht nicht mich, sondern ich gehe, ich mache … Das ist schwer zu beschreiben. Das war ein großer Wendepunkt in meinem Leben, der natürlich sehr viel verändert hat.

MAK | Neben dem Umgang mit der Angst ist das Abschiednehmen, das Loslassen eine der schwersten Übungen – zumindest für manche Menschen. Wie gehen Sie damit um?
NP | Ich hasse Abschiede! Ich finde Abschiednehmen ganz schwierig. Ich versuche das immer hinauszuziehen. Wenn es nicht um Tod geht, dann hat man sogar manchmal noch eine Chance – aber das ist auch wahnsinnig. Wenn ich mich von jemandem verabschieden oder trennen muss, und sei es auch nur für eine kurze Zeit, dann denke ich im ersten Moment: Das ist jetzt für immer, den sehe ich nie wieder! Dann werden Verzögerungstaktiken praktiziert: Komm, lass uns noch eine rauchen o.Ä. Wenn der Tod eintritt, ist das anders. Ich habe den Tod meines Vaters erlebt, das war ein langsames, qualvolles Sterben, wo ich mich über längere Zeit von ihm verabschieden und irgendwann auch sehen konnte: Es ist besser für ihn, wenn er jetzt gehen kann, wenn ich ihn hier nicht festhalte. Ich habe aber auch einen sehr, sehr guten Freund vor ein paar Jahren verloren, der ganz plötzlich an einem Herzinfarkt gestorben ist. So etwas ist natürlich so unfassbar, weil es mitten im Leben und nicht am Ende eines Lebens ist. Und man auch keine Möglichkeit hatte, sich zu verabschieden. Was mir aber recht gut gelingt, ist, mit den Toten, die mich begleiten, einen ganz guten Kontakt zu halten. Zum Beispiel besucht mich mein Vater oft in meinen Träumen und schaut mir zu. Sitzt dann immer so da und ist, glaube ich, ganz glücklich mit mir. Ab und zu frage ich ihn auch, wie er dies oder das fand. So habe ich einen Kontakt zu ihm – und zu diesem Freund auch. Das finde ich ganz schön, und es funktioniert, ohne dass ich es irgendwie bewusst machen muss. Es ist tatsächlich einfach so: Sie sind im Herzen – sie sind da und bleiben dir auch, sie verliert man nicht so schnell.