Gina Schöler im Gespräch mit Doris Kleinau-Metzler

Loslassen, um das Glück zuzulassen

Nr 204 | Dezember 2016

Wussten Sie, dass Deutschland eine Glücksministerin hat? Doch was ist Glück – für Sie persönlich? Vielleicht gestern, als Sie auf einem Spaziergang die Sonne genossen haben – oder vorhin, als das kleine Mädchen an der Bushaltestelle Sie unerwartet anlächelte …? Augenblicke, die bemerkt werden wollen. Oder ist Glück auch Ihre Zufriedenheit, wenn Sie eine Arbeit gut abgeschlossen haben ? oder die Erkenntnis, was Ihnen eine Freundin, ein Freund bedeutet? Wenn Sie so etwas erleben und anfangen, darüber nachzudenken, sind Sie auf dem besten Weg, zum Bruttonationalglück beizutragen. Denn das «kleine Glück möchte abgeholt werden», meint Gina Schöler, unsere selbst ernannte Glücksministerin. Und klein fing alles an, 2012 als Semesterarbeit der angehenden Kommunikationsdesignerin und eines Kommilitonen an der Hochschule für Gestaltung in Mannheim. Inzwischen ist daraus eine Multimediakampagne geworden, und Gina Schöler ist europaweit unterwegs, um Impulse für ein bewusstes Leben und Glücksbesinnung zu setzen. Bausteine dazu sind für sie Bewusstsein, Reduktion und Zufriedenheit.

Doris Kleinau-Metzler | Liebe Frau Schöler, was ist Ihre ganz persönliche Vorstellung vom Glück?
Gina Schöler | Das werde ich oft gefragt. Ich kann es nicht genau definieren, aber es gibt verschiedene Bausteine – wie: sich Zeit nehmen, um beispielsweise mit seinen Lieblingsmenschen eng zusammen zu sein (das muss nicht zwangsläufig die Familie sein). Ich lote mittlerweile für mich aus: Wer tut mir gut, wer nicht? Wenn ich dann dazu komme, all das, worüber ich auf meinen Workshops den ganzen Tag reden darf (wie Pausen machen, entschleunigen), umzusetzen und die kleinen Zutaten des Alltags zu genießen (wie Hund plus Natur plus Zeit für mich), dann macht mich das wirklich glücklich. Ich bin auch gern allein, das tut mir gut.

DKM | Was machen Sie, wenn Sie dann allein sind?
GS | Ich versuche, einfach zu sein. Ich übe mich in Langeweile-Haben. Ich habe viele Ideen, viel Energie, bin viel unterwegs und habe oft viele Menschen um mich. Dann suche ich oft bewusst einen Gegenpol, um einfach dazusitzen, Gedanken vorbeifliegen zu lassen, nichts festzuhalten.

DKM | Muss man Langeweile üben?
GS | Ich muss es – und ich kenne viele, die das auch nicht mehr können, es nicht aushalten, ohne Beschallung zu sein oder immer wieder auf ihr Smartphone zu schauen. Ich ertappe mich selbst am Abend dabei, nur mal schnell die E-Mails zu checken, und sage mir deshalb manchmal ganz bewusst: Tür zu, Laptop aus, Handy aus, Kopf aus – und schauen, was passiert. Das ist als Dauerzustand natürlich nicht erstrebenswert, aber es gehört zur inneren Balance, mein Gefühl für mich selbst zu bewahren, zu entwickeln. Vielleicht ist es ein bisschen wie eine Vorstufe zur Meditation, den Kopf, den Alltag hinter sich zu lassen. Meiner Erfahrung nach wird in solcher Art Langeweile ziemlich viel ver­ar­beitet, eher unbewusst zunächst, dann kommt irgendwann die Reflexion dazu. So können Kreativität und eine neue Entwicklung entstehen.
Im normalen Alltag ist es ja verpönt, sich einfach mal eine Auszeit zu nehmen, womöglich noch mitten in der Woche einfach durch die Gegend zu schlendern und nichts zu machen. Diese Freiheit muss man sich erst erkämpfen. Für mich kam irgendwann der Punkt, wo ich mich wie «drehwurmig» fühlte – viele Termine, viele Sachen im Kopf, das Gedankenkarussell drehte sich beständig. Denn auch positiver Stress ist Stress, treibt mich vor sich her.

  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
Fotos: © Wolfgang Schmidt | www.wolfgang-schmidt-foto.de | Durch die Bildergalerie geht's per Klick auf die Klammern

DKM | Bei dem, was Sie als «Gedankenkarussell» bezeichnen, fliegen uns Wahrnehmungen, Gedanken einfach wie Bälle in einem Spiel zu, wir beeinflussen sie nicht. Denken ist etwas anderes. Das steckt in zwei zentralen Wörtern Ihrer Homepage: «GlücksBESINNUNG» und «Bewusstsein».
GS | Ja, ich habe gelesen, dass man etwa sechstausend Gedanken am Tag hat, aber 92 Prozent davon sind nichtig, kreisen immer gleichartig um etwas Vergangenes oder drehen sich um Zukunftsfantasien, die niemals eintreten werden. Das heißt, nur 8 Prozent beziehen sich auf das Hier und Jetzt, auf das, was ist und was wir gestalten können. Sich immer wieder «bewusst machen», dass ich es bin, die aus- und umschalten kann, ist der Anfang. Für mich geht das am besten mit einem gewissen Abstand zum Alltagsgetriebe, wie beim Spaziergang mit meinem Hund. «Bewusstsein» ist hier gemeint als eine Art geistiges Aufwachen. Dann zeigen sich Fragen wie: Wer bin ich? Was will ich? Wie möchte ich mein Leben gestalten? Nach welchen Werten möchte ich es ausrichten? Wie sieht es aktuell aus – und was muss sich vielleicht verändern? Bei meinen Workshops erlebe ich oft, dass Teilnehmer im beruflichen Bereich nicht zufrieden sind. Manchmal merken sie nach einiger Zeit, dass auch andere Ursachen dahinterstecken, die nicht einfach mit einem Stellenwechsel verschwinden. Sie haben vergessen, ihr eigenes Leben zu leben.

DKM | Was meinen Sie mit «eigenes Leben zu leben»?
GS | Nicht überwiegend von äußeren Einflüssen geführt und geleitet zu werden, nicht von Konventionen, wie man was zu machen hat, nicht von eigenem Erfolgsstreben und Erwartungen anderer ? sondern wirklich meine tiefen persönlichen Werte beginnen zu erkennen. Und versuchen, sie zu klären, immer wieder, und dann anfangen, sie umzusetzen ? und nicht wegzudrängen, weil ich ja ständig so viel anderes tun muss. Wir Menschen sind hervorragend darin, uns tolle Ausreden einfallen zu lassen. Natürlich gibt es auch Bedingungen, Zwänge und Pflichten, die ich nicht ändern kann. Doch Minischritte sind möglich, wenn ich statt nur zu lamentieren oder zu resignieren die Perspektive wechsle. Auf diesem Weg hilft mir persönlich auch mein Bauchgefühl, damit ich nicht alles zerdenke und immer wieder Ausreden erfinde.

DKM | Warum ist «Zufriedenheit» für Sie ein zentrales Wort?
GS | Es gibt ja nicht nur das kleine Glück des Augenblicks, sondern auch etwas anderes, was für mich wesentlich ist für ein gutes Leben. Nach einigen Schlüsselerlebnissen ist mir als eine Art Essenz klar geworden: Alles um mich herum ist im Wandel, sei es in Beziehungen zu Menschen mit dem Auf und Ab der Gefühle, seien es Krisen, Trennungen usw. Alles um mich kreist, ist in Bewegung. Wie schaffe ich es dabei, bei mir selbst zu bleiben, auch wenn es sehr belas­tende Sachen gibt, wie schaffe ich es im weitesten Sinne glücklich zu sein? Mir wurde klar: Für mich bedeutet Glück doch auch, diese Dinge zu erkennen, mir ihrer bewusst zu sein und das dann anzunehmen und zu akzeptieren. Geschehen lassen, was ich nicht beeinflussen und ändern kann, und mich doch bemühen, aus dem, was ist, so etwas wie innere Kraft oder etwas Gutes zu schöpfen. Türen gehen zu – und neue Türen gehen auf, immer wieder. So erlebe ich es. Lass es geschehen! Du kannst es nicht festhalten! Deshalb: loslassen, zulassen – auch das kleine Glück und die Zufriedenheit!

DKM | Aber manche Menschen haben Schweres erlebt, hadern mit dem, was ihnen angetan wurde.
GS | Ja, «hadern», ein Wort, das innere Unzufriedenheit ausdrückt – und zeigt, dass man nur auf die Vergangenheit schaut. Ohne dass ich ein schweres Schicksal verkleinern will, bleibt die Frage: Was kannst du «jetzt» tun? Die Vergangenheit ist nicht zu ändern. Negatives gibt es genug ? aber es gibt auch genug Positives und Wege in die Zukunft. Auch angesichts des Leids in der Welt kann man nicht den Kopf in den Sand stecken oder eine rosa Brille aufsetzen, sondern muss sehen, erkennen, was ist. Aber auch: Wo stehe ich, was kann ich tun? Für mich ist wichtig, mich nicht aus dem eigenen Takt bringen zu lassen, dieses Einpendeln zwischen Für und Wider, Geben und Nehmen, Traurigkeit und Freude.

DKM | Warum ist außer Zufriedenheit und Bewusstsein auch «Reduktion» für Sie ein Baustein zum Glück?
GS | Bewusstsein heißt ja nachdenken und ein Gefühl für sich selbst berücksichtigen: Was tut mir gut? Je mehr man das tut, kommt man eigentlich fast von selbst dazu, dass man zum Glücklichsein unfassbar wenig braucht von dem uns umgebenden materiellen Wohlstand, der Konsumwelt, dem Wirtschaftswachstum … Es trägt nichts Wesentliches zu unserem Wohlbefinden bei, dieses «Mehr, mehr, mehr» macht vielmehr uns und unsere Umwelt krank.
Ein Beispiel dafür sind die sozialen Medien, mit denen ich ja auch viel umgehe: Sie verursachen auch sozialen Druck und Stress und vermitteln zudem das Bild einer perfekten Welt, die es so für niemanden gibt (nur schöne gepostete Fotos). Natürlich ist es verlockend, von einem wunderschönen Anblick ein Foto zu machen und es an Freunde weiterzuschicken. Das Maß ist entscheidend und die andere Seite zu bedenken: Ich poste keine Fotos vom Besuch bei meiner Oma im Krankenhaus, obwohl sie mir wichtig ist und es schön war. Das Schönste, Intimste ist nicht festzuhalten.
Der Begriff «Glück» wird so oft benutzt (Lotto, Werbung usw.), dass ich deshalb im Minis­terium gern das Wort «Wohlbefinden» verwende; es umfasst nicht nur die Glücksmomente, sondern ist breiter. Dazu gehört auch unser Bedürfnis nach einer gewissen Sicherheit im Leben, aber auch darüber nachzudenken, ob manche Ängste (individuelle und gesellschaftliche) nicht hochgepuscht werden und sich dadurch erst ausbreiten. Das Wahrnehmen, dem Nachspüren, Nachdenken und Sich-Informieren sind Voraussetzungen, um zu erkennen, wo ich stehe und wie ich mein Leben gestalten kann, um zufriedener zu sein. Zufriedenheit heißt ja nicht, sich mit allem abzufinden, das ist eher Lethargie. Ich stelle die Frage: Wenn du nicht zufrieden bist, woran liegt es, wie kannst du es ändern?