Daniela Drescher im Gespräch mit Michael Stehle

Von der Kraft der Fantasie

Nr 226 | Oktober 2018

Vor 14 Jahren hat die Autorin und Illustratorin Daniela Drescher ihr erstes Bilderbuch geschrieben. Inzwischen gibt es über 30 Bilderbücher, illustrierte Klassiker und Kinderbücher, die einen großen Anhängerkreis haben und in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden. Die Motive ihrer Bücher zieren Tassen und Stoffe, und seit einiger Zeit gibt es Käthe-Kruse-Puppen ihrer beliebten Wichtel Pippa und Pelle. Wir trafen uns mit ihr in ihrem verwunschenen Garten, der oft Inspirationsquelle für ihre Geschichten und Figuren ist, und sprachen über das, was sie bewegt, Bücher für Kinder zu schreiben und zu illustrieren.
www.danieladrescher.de

Michael Stehle | Liebe Daniela Drescher, Ihre ersten Veröffentlichungen waren Bilder­bücher. Dann folgten illustrierte Klassiker wie Die schöne Lau und Der Sommernachtstraum. Inzwischen hat sich Ihr Repertoire dahingehend erweitert, dass Sie auch Gedichte und Kinderbücher schreiben. War es eine bewusste Entscheidung, sich mit Ihrer Arbeit an Kinder zu wenden?
Daniela Drescher | Die Arbeit mit Kindern hat sich in meiner maltherapeutischen Praxis einfach ergeben. Hier habe ich gerne mit eigenen Reimen gearbeitet, die sich als kommunikatives und begleitendes Element in der Maltherapie sehr bewährt haben. Mit einigen älteren Kindern gestaltete ich sogar Bilderbücher. Sie haben ihre eigenen Geschichten erfunden (die ich dann für sie aufschrieb) und dazu die Bilder gemalt. Zum Schluss haben wir alles zu einem Buch «gebunden». Es war immer ein wundervoller Augenblick, als ich dem Kind das fertige Werk in die Hände legen konnte. So viel Stolz! Ich selbst habe dann einmal für unsere eigenen Kinder ein paar meiner Reime aus der Maltherapie illustriert, und daraus wurde dann das erste Bilderbuch, das im Verlag Urachhaus erschien. So kam eines glückreich zum anderen. Aber ich denke, es sind ja die Erwachsenen, die die Bücher für Kinder aussuchen – und so schreibe und male ich in gewisser Weise für kleine und große Menschen.

MS | Worum geht es Ihnen genau, wenn Sie malen und schreiben? Was möchten Sie bei Ihrem jungen Publikum auslösen?
DD | Ich versuche, in jedem Bild einen Freiraum zu eröffnen, in den das Kind – oder auch der Erwachsene – die Möglichkeit hat, einzutreten. Die Farbstimmung, mit der ich im Malen eines Bildes beginne, verdichtet sich in vielen, vielen Schichten so lange, bis sie beginnt, zu «erzählen». Das ist mir sehr wichtig, denn das Kind tritt unbewusst zuerst in das Atmosphärische ein. Einmal in der Stimmung angekommen, kann der Blick zu all den Dingen gehen, die es im Bild zu entdecken gibt. Auch hier ist es mir ein großes Anliegen, dass das Kind in meinen Bildern die Natur vorfindet, die es draußen in der Welt wiedererkennt. Einen Käfer, einen Vogel, eine bestimmte Blume. Elfen und Wichtel tauchen zwischen meinen natur­getreuen Pflanzen- und Tierzeichnungen immer wieder ganz selbstverständlich auf, denn ich möchte sie den Kindern als Ver­mittler und Freunde an die Hand geben – und als Ermutigung, die Natur als vielfältig bevölkerte Mitwelt wahrzunehmen. Geben wir unseren Kindern Zeit zum Betrachten und Staunen! Denn das Wunder – das eigene, und das der Welt – ist überall gegenwärtig.

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Fotos: © Wolfgang Schmidt | www.wolfgang-schmidt-foto.de | Durch die Bildergalerie geht's per Klick auf die Klammern

MS | Warum haben Sie sich für die Malerei als Ausdrucksmittel entschieden?
DD | Ich war immer geschickt im Umgang mit Stiften, Pinsel und Farben. Das Malen begleitete mich von Kind an und wurde mir ein «Vertrauter». In meiner Jugend habe ich einige Jahre lang intensiv mit Ton gearbeitet und plastiziert. Aber es waren dann doch die Farben, die mich immer wieder lockten und mit mir Zwiesprache hielten. Allerdings ist Talent die eine Sache. Fleiß und Beharrlichkeit die andere. Für mich ist die künstlerische Arbeit immer ein Dreiklang: Talent, Beharrlichkeit und das Unbekannte. Denn in jedem Schritt, den ich im Malerischen gehe und damit eine Grenze überwinde, kommt mir etwas entgegen, das ich bis dahin noch nicht kannte. Keines meiner Bilder ist vorher geplant oder festgelegt. Das Motiv, die Szenerie entsteht während des Malens. Der Zauber eines Bildes liegt für mich darin, dass es am Ende mehr enthält, als ich selbst hereingeben konnte.

MS | Welche besonderen Bedürfnisse haben die Kinder heute Ihrer Wahrnehmung nach?
DD | Kinder brauchen einen Spielraum, um sich in der Welt «wiederzufinden». Sie brauchen einen geschützten Raum, der es ihnen erlaubt, ihre seelischen Gestaltungskräfte, ihre Fantasiekräfte – die sie ja mit­gebracht haben –, zu ergreifen und sich mit ihnen zu verbinden.

MS | Sehen Sie in Bezug auf die Fantasie eine Gefahr für unsere Kinder?
DD | Wenn wir ihnen nicht den «Raum des Verweilens», wie ich es gern nenne, zur Verfügung stellen, weil sie zum Beispiel schon in der Grundschule lernen sollen, mit dem Computer umzugehen, oder weil zu viele Termine ihre Tage zerreißen, dann wird die Verbindung zu ihrem schöpferischen Potenzial verkümmern. Sie werden sich nicht innig genug mit der Welt verbinden können und verlieren sich, ehe sie die Gelegenheit hatten, sich zu finden. Die Fantasie ist die Kraft, die es unseren Kindern ermöglicht, die eigene Gegenwart zu gestalten. Lassen wir es bei uns selbst und unseren Kindern zu, den Raum der Fantasie zu betreten, dann ermöglichen wir es ihnen, Kraft zu schöpfen aus der eigenen Quelle, die immer reicher wird, je mehr wir daraus schöpfen. Denn die Seele des Menschen ist reich.

MS | Die Süddeutsche Zeitung schrieb einmal über Sie, dass die kleinen Wesen, die Sie malen, so einzigartig seien, dass man fast glauben könnte, sie hätten Ihnen «persönlich Modell gestanden». Woher kommt Ihre so innige Beziehung zur Natur?
DD | Ich selbst bin am Stadtrand in einer sogenannten Sozialbau-Siedlung aufgewachsen, wie sie in den 70er Jahren überall gebaut wurden, und habe früh eine unbestimmte Sehnsucht zu allem Kreatürlichen in der Welt gefühlt und gesucht. Gefunden habe ich dann «geheime Plätze» wie zum Beispiel eine Zwergenwohnung unter einem Weigelien-Strauch im Hof oder ein Elfenschloss mit Marienkäferprinzen in der Rosenbe­pflanzung vor dem Mietshaus. Es waren kleine Inseln der Glückseligkeit. Je älter ich wurde, umso mehr Umland habe ich «erobert». Zum Glück gab es in der Nähe einen recht schönen Wald. Er wurde in meiner Jugend mein Refugium, in das ich so oft es ging mit Bestimmungsbuch, Zeichenblock und Stiften im Fahrradkorb gefahren bin. Die Natur bedeutete mir alles, denn alles war schön – selbst ein toter Vogel war schön – im Gegensatz zur Schule, zur Bushaltestelle, zur Straße vor dem Fenster. So wurde aus der unbestimmten Sehnsucht eine große Liebe. Eine Liebe zu dem geheimen Leben und allen Wesen in der Natur.

MS | Ihre Bücher sind auch international sehr erfolgreich, von China bis in die USA schmücken sie die Bücherregale der Kinderzimmer. Das New Yorker Wall Street Journal feierte Ihre Illustrationen zu den Märchen der Brüder Grimm mit den Worten: «Daniela Dreschers Bilder besitzen die Magie, von innen heraus zu leuchten.» Woher beziehen Sie Ihre Kraft und Intuition, so zu malen? Haben Sie das Empfinden, in einer bestimmten Tradition zu stehen?
DD | Die Gedichte der Romantiker begleiten mich seit meiner Jugend und haben mich zu eigenen Stimmungsbildern geführt. Ebenso die Märchen. Ihre Urbilder sprechen für mich eine Sprache der Schönheit, Sehnsucht und Magie des Lebens, die ich auch in meiner Malerei zum Ausdruck bringen möchte. In der Kunst inspirieren mich die Maler, die aus dem Lauschen heraus gemalt haben, aus der Zwiesprache mit Naturstimmungen, Licht und dem noch unbetretenen Land. Es sind die Farbzauberer, die versucht haben, den köstlichen Moment des Zustandekommens einer Stimmung einzufangen. Und dann trage ich natürlich – wie so viele Menschen meiner Generation – die herrlichen Geschichten von Otfried Preußler im Herzen. Kraft und Imagination aber schöpfe ich aus mir selbst und aus der Zwiesprache mit der Natur. Meine Arbeit ist eher kontemplativ, und es bedeutet meistens nicht wenig Anstrengung, bis ich aus der eigenen Quelle ein Gold­körnchen schürfen kann.

MS | Gibt es etwas, das Sie sich als Autorin und Illustratorin sehnlicher wünschen als irgendetwas anders?
DD | Ich wünsche mir, mit meinen Bildern und den Geschichten an das schöpferische Potenzial in jedem von uns zu erinnern, und daran, dass wir alle – Kraft unserer eigenen Fantasie – unser alltägliches Leben zum Leuchten bringen können.