Daniel Leturesh hat einen Traum. Seit seiner Jugend verfolgt er ihn, sagt der Massai-Krieger und rückt sich die rot karierte Shuka zurecht. Das Tuch in den Farben seines Volksstammes hat er um den mächtigen Leib geschlungen, darunter trägt er förmlich Hemd und Anzug. Er ist der Chef der größten Gemeinden Olgulului und Ololarashi, die den Amboseli-Nationalpark im südlichsten Zipfel Kenias fast wie einen Gürtel umschließen. Er sitzt auf der Außenterrasse eines der Touristenhotels des Reservats. Unten im Garten grasen friedlich ein paar Impala-Antilopen, während die Sonne langsam hinter dem angrenzenden Akazienwald untergeht und den Park in sanfte Mauve-Töne taucht. – «Ich war damals 19, als ich jenes Elefantenbaby in einem Wasserloch in der Nähe meines Hüttendorfes am Rand des Nationalparks entdeckte», erzählt der heute 50-Jährige. «Zusammen mit ein paar anderen Jungen zogen wir das Jungtier aus dem Schlammloch, führten es nach Hause in unsere Boma. Meine Mutter war wenig begeistert, als sie sah, wie ich wertvolle Kuhmilch an den kleinen Elefanten verfütterte. Am nächsten Morgen übergaben wir das Baby den Wildhütern des Amboseli. Ich durfte damals mitfahren, als die Männer in ihrem alten Geländewagen über die Pisten im Park rumpelten, um nach der Mutter des Kleinen Ausschau zu halten. Die Ranger haben nur mit den Köpfen geschüttelt. Unmöglich! Die Elefantenkuh würden sie nie finden. Wir hatten es trotzdem versucht. Am Nachmittag brachten wir das Baby zurück zu seiner Mutter!»
Das war Anfang der 1980er Jahre. Damals stand es schon einmal schlimm um die Elefanten in Afrika – auch im Amboseli-Nationalpark, der sich mit seiner Savanne und dem Sumpfland an den Fuß des Kilimandscharo schmiegt, dem höchsten Berg des Kontinents. Von einst 1200 Elefanten im Park blieben nicht mal mehr 500 übrig. Die meisten waren Wilderern zum Opfer gefallen oder wurden von wütenden Hirten mit Speeren erstochen, weil sie sich zu dicht an deren Bomas oder Felder herangewagt haben.
Seit jener Zeit versucht Daniel Leturesh Kenias Dickhäuter zu schützen. Und er stemmt sich damit auch gegen ein verheerendes Verbrechen an Afrikas einmaligem Naturerbe: die gierige Jagd nach Elfenbein. Wilderei ist ein weltumspannendes Geschäft, bei dem ganze Kartelle viele Millionen verdienen. Es ist ein gefährliches Geschäft, das heute die Dimensionen des Drogenhandels erreicht hat.
Leben und Überleben
Von Kenia bis Südafrika schmücken sich viele Länder Afrikas mit ihren Naturschätzen. Touristen aus aller Welt strömen in die Savannen, um die «Big Five» zu bestaunen: Löwe, Leopard, Büffel, Nashorn – aber auch Elefant. Heute hängt die Wirtschaft vieler dieser Länder großenteils am Tropf des Tourismus.
Die Wilderei gefährdet diese dringend benötigte Einnahmequelle. Vor allem aber gefährdet sie das Überleben der größten Landsäuger der Erde. Kaum einem Tier auf der Welt wird derzeit so hartnäckig nachgestellt wie den Afrikanischen Elefanten. Sie werden erschossen, erstochen oder vergiftet, um an ihre Stoßzähne zu kommen, die ihnen aus dem Schädel gehackt werden. Die Kadaver der mächtigen Tiere bleiben liegen und verdorren in der Hitze der Savanne.
Nach der katastrophalen Situation für Elefanten in den 80er-Jahren hatte sich die Lage durch internationale Kampagnen zwischenzeitlich entspannt. Doch heute ist die Wilderei in Afrika schlimmer als je zuvor. Jährlich fallen den Wilderern weltweit rund 35.000 Elefanten zum Opfer. Angesichts einer Gesamtpopulation von nur noch 400.000 bis 600.000 Tieren eine gewaltige Zahl.
Ganze Kartelle operieren in den afrikanischen Ländern. Sie schmuggeln tonnenweise Elfenbein aus dem Herkunftsland und bestechen dafür Flughafenpersonal, Zollbehörden oder Regierungen. Das Elfenbein landet vielfach in China, wo daraus gefertigte Schnitzereien heiß begehrte Statussymbole sind. Früher war Elfenbein für die meisten Menschen in China unerschwinglich. Heute hat der Wohlstand der neuen, kaufkräftigen Mittelschicht unersättliche Märkte geöffnet. Doch auch in Afrika selbst gibt es Schwarzmärkte – im Kongo, in Nigeria, der Elfenbeinküste, in Ägypten oder im Sudan floriert der Elfenbeinhandel – und unterstützt dabei nicht zuletzt den internationalen Terror. UNEP, das Umweltprogramm der Vereinten Nationen, und Interpol schätzen, dass Terrorgruppen in Afrika jedes Jahr Millionen von Dollar durch illegalen Handel scheffeln.
Handeln, aber miteinandner
«Mir wurde damals klar: Wenn wir nicht eingreifen, verlren wir auch unsere letzten Elefanten», sagt Daniel Leturesh. Denn nicht nur Wilderei dezimierte die grauen Riesen rasant. In vielen afrikanischen Ländern hat sich auch das Verhältnis zwischen Mensch und Elefant über die Jahrzehnte verschärft.
«Während es Anfang der 1980er rund um den Amboseli gerade mal eine Handvoll Hüttendörfer gab, kann man die Siedlungen heute kaum mehr zählen.» Mensch und Tier konkurrieren vielfach um dieselbe Ressource: Land und Nahrung. «Wenn Massai-Hirten ihr Vieh bis an die Parkgrenzen treiben und Bauern ihre Felder dort bestellen, schürt das Konflikte, die nicht selten tödlich enden», erklärt er. Während die Massai um den Park ihr karges Land bewirtschafteten, platzte der Amboseli mit seinen Elefanten aus allen Nähten, denn die Dickhäuter könne man nicht einsperren. Ein ausgewachsenes Tier allein fresse 300 Kilogramm Vegetation am Tag und wandere dafür täglich weite Strecken. Das Gros der Elefanten lebe deshalb außerhalb des Parks, vor allem in der Regenzeit. «Zwangsläufig marschieren sie dann durch Kulturland, zertrampeln den Bauern die Felder und fressen die Maisernte.»
Im Jahr 2006 sei die Situation eskaliert. Fast jeden Monat habe es Unfälle und tote Elefanten gegeben, erlegt durch den Speer eines Bauern oder Hirten.
«Ich bin damals von Boma zu Boma gelaufen und habe den Leute in den Gemeinden erklärt, wie dringend wir eine Pufferzone um den Park brauchen, damit das Sterben aufhört», sagt Leturesh. «Die Massai waren eher bereit, ihr Land in kleinen Parzellen an Meistbietende zu verkaufen. Immer wieder habe ich dem Ältestenrat erklärt, dass Leute mit Geld unser Land aufkaufen, wir dann unseren Landtitel verlieren und womöglich sogar unsere Heimat.» Jahrelang habe er auf die Massai von Olgulului und Ololarashi eingeredet und ihnen schließlich die Entscheidung abgerungen, Teile ihres angestammten Territoriums am Amboseli an ein Refugium für Wildtiere abzutreten. Eine Art grüner Korridor, durch den vor allem die Elefanten im Park in den nahegelegenen Kilimandscharo-Nationalpark in Tansania wandern können – ohne Gefahr zu laufen, Wilderern in die Hände zu fallen oder von Bauern der Region getötet zu werden. Für ein solches Mega-Projekt brauchte Leturesh neben den Massai noch andere Partner an seiner Seite.
Am Eingangstor des Amboseli verlässt Evan Mkala sein Büro, steigt in den Geländewagen, tritt aufs Gaspedal und rauscht ab in Richtung Parkhotel. Der kenianische Biologe vom Internationalen Tierschutz-Fonds (IFAW)* wird dort bereits erwartet. Mkala und Leturesh begrüßen sich auf der Hotelterrasse mit Handschlag. Sie sind seit sechs Jahren so etwas wie Kollegen. Genau genommen seit dem Tag, an dem der Massai-Krieger am Amboseli in ein Sammeltaxi gestiegen ist, in der Hauptstadt Nairobi an die Tür des IFAW-Büros geklopft und die Leute dort von seiner Vision überzeugt hat. «Die Massai waren bereit, ihr Land zu spenden, wir die Gelder», sagt Mkala. Seit 2013 entsteht Kitenden, der erste Schutzkorridor für wandernde Elefanten in Kenia, der zwei Nationalparks und ein Nomadenvolk mit den Tierschützern vereint. Ein Gürtel aus Brachland, welches die Massai nicht mehr bewirtschaften und das sich zu wertvollem Savannenland auswachsen soll.
Ein Waisenhaus für kleine Dickhäuter
Wie am Amboseli wehrt sich in Kenia eine ganze Reihe von Organisationen gegen den Verlust seiner Elefanten. Eine der bekanntesten Adressen liegt direkt vor den Toren der Hauptstadt Nairobi. Im Waisenhaus des David Sheldrick Wildlife Trust** teilen 30 Elefantenbabys ein Schicksal: Sie haben ihre Mütter verloren – die meisten davon an Wilderer oder an zornige Bauern.
Die Sheldricks, das ist eine ganze Familie, die die verwaisten Elefantenkinder betreut, zusammen mit vielen Helfern und Tierpflegern. Daphne Sheldrick hat die Stiftung vor fast 40 Jahren gegründet und nach ihrem Mann benannt. David Sheldrick war Tierforscher, hat den größten Nationalpark Kenias, den Tsavo, mitgegründet und sich dort vor allem um Elefanten gekümmert. Der Tsavo liegt gleich neben dem Amboseli-Park. Nach David Sheldricks Tod wussten die Leute der kenianischen Naturschutzbehörde nicht, wohin mit den Elefantenbabys, die sie verlassen in der Savanne fanden. Daphne Sheldrick hat begonnen, sie zu Hause aufzunehmen. Allmählich ist das Waisenhaus entstanden. Viele der Elefantenbabys, die heute ins Waisenhaus kommen, sind bloß ein paar Wochen alt. Manche haben schreckliche Wunden. Sie werden aufgepäppelt, großgezogen und – wenn sie etwa drei Jahre alt sind – im Tsavo wieder ausgewildert. Dort schließen sie sich dann anderen Elefantengruppen an.
Damit die Dickhäuter in der südlichen Region des Landes bald schon über weitere Strecken wandern können, verhandelt Daniel Leturesh bereits mit seinen Nachbargemeinden, dem Beispiel von Olgulului und Ololarashi zu folgen und Land für neue Elefantenkorridore zu spenden. Etwa vom Amboseli in den Tsavo-Park oder die Masai Mara, die an den Serengeti-Nationalpark in Tansania grenzt.
Dass seine Vision Erfolg verspricht, dafür sprechen Tatsachen: Im Amboseli gibt es heute fast 1400 Elefanten, so viele wie in keinem vergleichbar großen Schutzgebiet Kenias. Die Massai haben in und um den Kitenden-Korridor eigene Rangerkommandos organisiert, die eng mit der Wildbehörde zusammenarbeiten. Es gibt sogar einen «Geheimdienst» unter den Einheimischen. «Das sind unsere Augen und Ohren. Sie rufen uns an, wenn Wilderer in der Gegend sind oder jemand aus der Gemeinde einen Elefanten getötet hat», sagt Leturesh. Seit 2012 hat es am Amboseli keinen Fall von Wilderei mehr gegeben.
Der Massai wurde 2014 von der Walt Disney Worldwide-Stiftung für Naturschutz für sein Engagement als «Held der Umwelt» ausgezeichnet. Mit dem Preis hat Daniel Leturesh auch eine Erkenntnis gewonnen: Man muss sich manchmal Unmögliches vornehmen, um Dinge möglich zu machen. «Ein Reservat für Elefanten, das unserem Volk gehört. In dem Touristen die ‹Big Five› bewundern und dessen Savanne locker mit der Schönheit des Amboseli mithält.» – Der Krieger strahlt übers ganze Gesicht, und hinter ihm zieht in sicherer Entfernung eine Herde grauer Riesen gemächlich vorüber.