Uschi Groß (Text) & Wolfgang Schmidt (Fotos)

Mit Nadel und Faden fit für die Zukunft

Nr 227 | November 2018

Ein Nähprojekt für Mädchen und Frauen in Mosambik

Ungewöhnliche Geräusche dringen aus dem einstöckigen Gebäude mit dem auffallenden grünen Dach. Lautes Rattern, durchbrochen von aufgeregten Gesprächsfetzen und Lachen. Im Haus haben sich junge Frauen an zwei langen Tischen versammelt. Vor ihnen ausgebreitet liegen große Papierstücke, in Falten gelegt und mit groben Fadenstichen zu­sammengeheftet. Es sind die ersten eigenen Entwürfe für einen Rock. Stolz zeigen sie einander ihre Kreationen, messen, beraten und warten gespannt auf das Urteil von Henriquetta Henriques, die ihnen die Kniffe des Schnitteentwerfens beibringt. Das Rattern kommt von alten Singer-Nähmaschinen. Das Haus steht in Maputo, der Hauptstadt Mosambiks am südöstlichen Zipfel des schwarzen Kontinents.
Die zehn Mädchen und Frauen be­suchen seit Anfang Februar einen Grundkurs für Schneiderei im Nähprojekt Centro de formação de Loja Social – dem Ausbildungs­zentrum des Sozialen Ladens. Fünf Monate treffen sie sich an drei Vormittagen in der Woche in der kleinen Nähwerkstatt, um das Handwerkszeug der Schneiderin zu erlernen. Damit können sie anschließend kleinere oder größere Näharbeiten anfertigen – für ihre Familien oder als Einnahmequelle für ihren Lebensunterhalt.

Die Idee von Loja Social

Mariza Días ist Initiatorin und Koordinatorin von Loja Social und das Herz des Frauen­projektes. Die 37-jährige Mosambikanerin arbeitete von 2009 bis 2011 als Sozialarbeiterin in der Kommission für Gerechtigkeit und Frieden in Maputo, einer Organisation der katholischen Kirche Mosambiks. Anfangs war der Plan, mit verschiedenen Werkstätten vor allem die Resozialisierung von haftentlassenen Frauen und Männern aus dem nahe­gelegenen Gefängnis zu unterstützen. Ein kleines, garagengroßes Gebäude wurde von der Kirche für eine Nähwerkstatt zur Ver­fügung gestellt. «Dann kamen zunehmend auch Frauen, die von häuslicher Gewalt und unsicheren wirtschaftlichen Lebensbe­dingungen betroffen waren», erinnert sich Mariza. Wirtschaftliche Krise und hohe Arbeitslosigkeit bestimmen den Alltag in dem von bäuerlicher Bedarfswirtschaft geprägten Land am Indischen Ozean. Das durchschnittliche Einkommen liegt bei umgerechnet etwa 40 Euro im Monat.
Mit Blick auf die Not der Frauen entstand 2011 Loja Social als ein offenes Näh­projekt für Mädchen und Frauen. «Viele der Kursteilnehmerinnen schaffen es, sich damit etwas aufzubauen», antwortet Mariza auf die Frage nach den bisherigen Erfolgen und erzählt von Virginha. «Die 22-jährige Mutter von zwei kleinen Kindern hat sich nach dem Kurs eine Nähmaschine angeschafft und schneidert jetzt bei sich zuhause Schuluni­formen zum Verkauf. Empowerment ist ein wichtiger Teil des Projektkonzeptes, d.h. die Stärkung der Mädchen und Frauen darin, ihre Ressourcen zu erkennen und ihr Leben eigenverantwortlich und selbstbestimmt zu gestalten», fügt Mariza hinzu. Deshalb bietet Loja Social ergänzend zu den Schneider­kursen auch Seminare und Trainings zu Menschen- und Frauenrechten oder auch zur HIV/AIDs-Prävention an. Mariza Días ist dafür die ideale Besetzung: Sie hat Sozialarbeit und Philosophie studiert und einen Master­abschluss im Studiengang Menschenrechte.
Das Konzept von Loja Social kommt an. Die Kurse füllen sich schnell. Einmal durch die Empfehlung ehemaliger Teilnehmer­innen und durch die Werbung kirchlicher Be­ratungsstellen. Und das, obwohl die Teilnehmerinnen pro Monat eine Gebühr von 700 Meticais (das entspricht etwa 10 Euro) be­zahlen müssen, da seit 2014 die kirchlichen Zuschüsse weggefallen sind. «Die Frauen kommen aus verschiedenen Teilorten Maputos und nehmen sowohl die Fahrtkosten als auch bis zu zwei Stunden Anreise in Kauf.»

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Fotos: © Wolfgang Schmidt | www.wolfgang-schmidt-foto.de | Durch die Bildergalerie geht's per Klick auf die Klammern

Die Teilnehmerinnen

Seit dem Start von Loja Social 2011 besuchen pro Jahr etwa 50 Mädchen und Frauen die Grund- und Aufbaukurse, in denen sie lernen, mit Nadel und Faden umzugehen, eigene Schnitte zu entwerfen und mit der Nähmaschine Kleider und andere Textilien herzustellen. Die Teilnehmerinnen sind zwischen 12 und 50 Jahre alt. Ein Team von angestellten Lehrerinnen und Lehrern leitet die jeweils fünfmonatigen Grund- und Aufbaukurse. Henriqueta Henriques war selbst Teilnehmerin im Loja Social. Carlitos Americo ist gelernter Schneider und seit er 2014 aus dem Gefängnis kam mit dabei. Der Anspruch des Sozialen Ladens ist auch auf der Teamebene überzeugend spürbar.
Zum Konzept gehört ebenfalls, dass die Teilnehmerinnen bereits nach drei Monaten erste Dinge für den Verkauf herstellen und damit zumindest einen Teil ihrer Kursgebühren erwirtschaften können. Dafür werden die landestypischen bunten Capulana-Stoffe zu Taschen, Kleidern und vielerlei anderem Nützlichem und Schönem verarbeitet und auf Kunsthandwerkermärkten angeboten.
Eine der ehemaligen Kursteilnehme­rinnen ist Isaura Rafael Sitoe. Sie ist 20 Jahre alt und lebt bei ihren Großeltern. Während Isaura die Pedale der alten Singer-Nähmaschine in Schwung hält und an einem Brillentäschchen näht, erzählt sie: «Ich habe 2017 nach dem Grundkurs gleich den Aufbaukurs gemacht. Seither komme ich regelmäßig nachmittags hier her, um Dinge zu nähen, die ich dann über Loja Social ver­kaufen kann.» Strahlend berichtet sie weiter, dass sie mit dem Geld, das sie dadurch verdient, jetzt die Hälfte des monatlichen Schulgeldes für eine Ausbildung zur Apothekerin finanzieren kann. Die anderen 1.000 Meticais bekommt sie über ein Förderprogramm der Kirche.
Ähnlich ist es bei der 19-jährigen Vanda Avelino Wate. Sie musste die weiterführende Schule verlassen, da es nicht genügend Plätze für alle Schüler gab. «Meine Nachbarin hatte mir von Loja Social erzählt, und so kam ich letztes Jahr ins Projekt.» Zwischenzeitlich schneidert Vanda eigene Entwürfe für den Verkauf. Selbstbewusst fährt sie fort: «Eigentlich ist es mein Traum, als Stylistin und als Modell zu arbeiten. Aber meine Familie möchte, dass ich erst mal einen ‹sicheren› Beruf lerne.» Seit Kurzem geht Vanda jetzt vormittags auf die staatliche Schule für Psychiatrie. Das nötige Schulgeld verdient sie sich mit ihren Schneiderarbeiten.

Die Zukunft

Das Projekt ist ein unglaublicher Schatz für die Frauen, aber die wirtschaftliche Situation ist prekär und die Finanzierung von Monat zu Monat ein Drahtseilakt. Während die Lehrkräfte den Unterricht gestalten, arbeitet Mariza Días unermüdlich daran, Loja Social auf stabilere Beine zu stellen. Sie ist eine (Über-) Lebenskünstlerin und Netzwerkerin mit Leidenschaft.
Vieles hat das kreative Team im zurückliegenden Jahr geschafft, beispielsweise den Umzug aus den kleinen dunklen Räumen in das Haus mit dem auffallenden grünen Dach – mit mehr Platz und Licht. Dank einer Kooperation mit der Vereinigung der Musiker konnten sie in deren Räumen im geschäf­tigen Zentrum von Maputo einen Laden für die Nähprodukte der Frauen einrichten.
Das größte Ziel für die Zukunft von Loja Social ist jedoch die staatliche Anerkennung als Ausbildungsbetrieb. «Die nächsten zwei Monate bekommen wir glücklicherweise noch Unterstützung von der fran­zösischen Botschaft. Damit können wir die Materialien für den Unterricht und die Löhne der Lehrkräfte bezahlen. Die Gebühren und den Erlös aus Verkäufen brauchen wir für die Miete der Räume», rechnet Mariza vor. «Vielleicht bekommen wir bis dahin die offizielle Anerkennung. Dann haben wir bessere Chancen auf Zuschüsse von der Regierung und von anderen Organisationen. Wenn nicht, müssen wir sehen, wie es weitergehen kann.» Kurz verliert sich ihr Blick in der Ferne.
Nach ihren Visionen gefragt, ist sie sofort wieder präsent und zählt auf: den Erhalt des Projektes sichern, die zarten Ansätze der Zusammenarbeit von Frauen zu einer Kooperative ausbauen, Loja Social-Werkstätten auch in anderen Stadtteilen Maputos einrichten. Mariza Días sprüht trotz aller Hürden vor Energie und Zuversicht.
Wo sie ihre Kraft hernimmt? «Von den Frauen!», antwortet sie lachend.
Bei so viel Power und Ausdauer kann man nur den Hut ziehen. Bleibt zu hoffen, dass es Mariza Días und dem Team von Loja Social gelingt, allen Widrigkeiten von Bürokratie und Armut zu trotzen und ihre Visionen mit Leben zu füllen!