Als Willi geboren wurde, gratulierte meinem Mann und mir keiner im Kreissaal zu unserem Kind. Es war ein furchtbarer Moment, als am Ende einer schweren Geburt auf den Gesichtern der Hebammen und der Ärzte nur Entsetzen und Erschrecken zu erkennen war.
Eine Hebamme fragte mich ängstlich, ob ich mein Kind sehen möchte, und ich dachte nur, dass hier alle vollkommen verrückt sein mussten: NATÜRLICH wollte ich mein Kind sehen. Und als ich es sah, da begriff ich: Mein Kind war ein behindertes Kind und deshalb freute sich niemand. Da lag auf meiner Brust, in ein hellblaues Handtuch gehüllt, ein Neugeborenes, es hatte seine schräg gestellten Augen geöffnet und blickte mir so tief ins Herz, dass es schmerzte vor Glück und Angst. Mir war sofort klar, dass mein Kind das Down-Syndrom hat.
Aber die Reaktionen meiner Mitmenschen haben mich damals vielleicht mehr geschockt als die Diagnose selber. Natürlich mussten mein Mann und ich amAnfang weinen, sehr viel weinen.
Ich wunderte mich damals, weil ich doch so selig war, meinen kleinen Engel in den Armen zu halten.Heute weiß ich, dass es die Trauer um das «normale» Kind war, das wir nicht bekommen hatten und welches wir verabschieden mussten.
Noch heute, bald fünf Jahre nach Willis Geburt, beschäftige ich mich oft mit den Reaktionen anderer Menschen auf die Behinderung meines Kindes.
Was ich mittlerweile nicht mehr gut hören kann, ist der Spruch: «Aber diese Kinder sind ja solche Sonnenscheine». Es klingt, als könne man ein Kind mit Down-Syndrom einfach in die Ecke stellen und es wäre trotzdem immer glücklich. Ist es aber nicht!
Es stört mich, dass am Anfang dieses Satzes ein Aber steht. Was wollen mir die Leute damit sagen? Wollen Sie mich trösten? Doch ich brauche keinen Trost, wirklich nicht. Erst das Gefühl, dass die Leute denken, sie müssten mich trösten, macht mich traurig. Ich würde mein Kind nicht tauschen, gegen keines der Welt. (Übrigens würden die Leute, die diese Phrase von sich geben, ihr Kind auch nicht gegen meines tauschen, obwohl meines doch angeblich so ein Sonnenschein ist.) Und NATÜRLICH ist Willi mein Sonneschein, aber meine kleine Tochter Olivia ist das genauso!Würden nicht alle Eltern sagen, dass ihr Kind ihr Sonneschein ist?
An schlechten Tagen (wenn der Sonnenschein z.B. morgens mit seiner vollgekacktenWindel im Bett gespielt hat) hätte ich Lust, auf den Spruch mal zu antworten: «Ja, die Sonne scheint ihm aus dem Arsch.» Aber warum unhöflich werden, es ist ja nett gemeint. Ich nicke also und entgegne brav: «Ja, ein echter Sonnenschein!»
Es ist ja auch etwas dran, an der Sonnenscheinlegende. Willi lacht wirklich viel und so herzlich und unvermittelt.Wenn wir Willi nachts trösten, weil er im Schlaf geweint hat, endet das nicht selten in einem Lachanfall aller Beteiligten. Sein Weinen kann direkt in Kichern umschlagen. Sein Lachen ist unglaublich ansteckend und ehrlich. Wenn Willi gut drauf ist und immer wieder am ganzen Körper wackelt vor lauter Glucksen, nur weil er ein paar Seifenblasen beobachtet oder einen großen Schokoladenkeks in der Hand hält, dann sind das die schönsten Momente meines Lebens! Es ist, als würde sein Herz näher an der Oberfläche liegen. Das Glück strömt direkt heraus.Doch ist es mit seiner Traurigkeit genauso. Tatsächlich ist es wohl schwierig, zu der Mutter eines behinderten Kindes das Richtige zu sagen. Bei Willis Geburt hätte ich mir zum Beispiel zwei Dinge gewünscht: Dass man mir zu meinem Baby gratuliert und dass man von vornherein offen mit uns gesprochen hätte. Und was dabei rausgekommen wäre, hätte dann in etwa so geklungen: «Herzlichen Glückwunsch, Ihr Kind hat Down-Syndrom!»