Eines Tages hat die Welt angefangen zu piepsen. Und ich weiß sogar genau, wann das war: Es war Juni 1981 – und mein Bruder hatte eine Digitaluhr zum Geburtstag bekommen. Mit Stoppuhr und Countdown. Wenn der Countdown abgelaufen war, piepste die Uhr. Zu jeder vollen Stunde machte sie «piep». Sein ganzer Stolz.
Niemand hätte damals ahnen können, dass die Welt in den nächsten dreißig Jahren so massiv anfangen würde zu piepsen. Als Nächstes hörten die Wecker auf zu klingeln und begannen zu piepsen. Damit erkläre ich mir auch meine starke Abneigung gegen dieses Geräusch: Tief in mir ist die Assoziation eines warmen Bettes im Winter, aus dem ich raus muss, um rechtzeitig in die Frühstunde Sport in der eiskalten Turnhalle zu hetzen.
Dann kamen die Mobiltelefone und die Welt piepste überall und durchgängig: in der U-Bahn, im Kino, sogar auf Wanderungen in der Wildnis! Wenn mir mal jemand unter Folter ein Geständnis erzwingen will, müsste er mich nur möglichst müde neben zwei Vierzehnjährige setzen, die ausprobieren, welche Klingeltöne ihr Handy hat – ich würde alles gestehen!
Und dann bekamen mein Mann und ich ein Kind. Und dieses Kind war krank, schwer krank, und die ersten sechs Monate lebten wir im Krankenhaus und dort piepste ALLES. Ein fürchterliches, lautes Piepsen, das die Geräte von sich gaben, an denen unser kleiner Sohn Willi 24 Stunden angeschlossen war. Es ging uns durch Mark und Bein. Es machte jegliche Entspannung unmöglich, sogar in den Momenten, in denen es dem Kind gut ging, denn die Fehlalarme der Geräte waren noch häufiger als die echten Alarme. Ich will gar nicht schreiben über diese Zeit, in der es Willi so schlecht ging, denn es war, als würde man mir das Herz aus dem Leib reißen. Anders kann ich es nicht beschreiben.
Sie können sich denken, dass diese Zeit mein Verhältnis zu Gepiepse nicht gerade verbessert hat!
Und dann stellte sich zwei Jahre später heraus, dass Willi gerade das Spielzeug liebt, das blinkt und vor allem: das piepst! Hätte mir einmal jemand prophezeit, dass ich mein behindertes Kind abends mit einem blinkenden Minilaptop ins Bett legen würde, aus dem piepsende Musik dudelt, ich hätte ihn für verrückt erklärt. Aber ich bin machtlos gegen die Wünsche meines Sohnes, ist doch die Freude der eigenen Kinder das Schönste im Leben einer Mutter. Und bitte schreiben sie mir keine Leserbriefe, ich weiß, dass das nicht gut ist für Willi, aber es macht ihn so glücklich!
Auf jeden Fall war es dann schon fast egal, als wir ein Haus bauten mit einer neuen Küche, in der nun Kühlschrank, Induktionsherd und Mikrowelle (aus welchen Gründen auch immer) mit Willis Elektroschrott-Spielzeug wild um die Wette piepsen. Immerhin hat sich mein Verhältnis zu Gepiepse deutlich verbessert – ich kann es schon fast ignorieren. Ich bin oft sogar froh, dass das Tiefkühlfach anfängt zu piepsen, wenn eines der Kinder es mal wieder geöffnet hat. Und ich bin froh, wenn Willi sich mal allein beschäftigt,. Da ist mir schon fast egal, dass es dabei piepst, wenn es denn bitte nicht unsere elektrischen Geräte in der Küche sind. Aber natürlich wäre ich noch VIEL froher, wenn Willi sich so ausgiebig mit unserem hübschen Bio-Holzbauernhof beschäftigen würde. Aber dem ist nun mal nicht so. Auch wenn mich alle «Frühförderer» und «ganzheitlichen Kinderärztinnen» dafür verdammen: Es ist eben im Moment das Plastiktelefon mit 10 verschiedenen Piepsmelodien und elektronischen Tiergeräuschen, das mein Sohn liebt, und nicht der etwa dreißigmal teurere, traumhaft schöne, politisch korrekte Bauernhof … Aber mittlerweile wird der immerhin von Willis kleiner Schwester ausgiebig bespielt!