Mein Großvater in Ostpreußen konnte es. Mein Vater nicht. Ich kann es wieder. Es sieht jedenfalls so aus. Ich habe es bei einem wunderbar weisen, leider verstorbenen Professor der Bochumer Universität gelernt: das Rutengehen.
Wir bekamen eine Einhandrute in die Hand gedrückt und hielten sie über alles, was uns interessierte: Lebensmittel, Pflanzen, alte Fotos, Wasserleitungen, Blumenbeete, Steckdosen, Handys und was wir wollten. Wir mussten allerdings geduldig sein. Die Rute wollte nicht immer mit uns reden. Bewegte sie sich dann irgendwann zum ersten Mal, erschrak man fast zu Tode und konnte es nicht fassen. Unsichtbare Energien wurden über unsere Rute plötzlich sichtbar. Es gab ein deutliches JA oder NEIN bei Fragen zur Verträglichkeit von Medikamenten, Standortfragen von Pflanzen, die Raumenergien konnten angezeigt werden – und wir wurden größenwahnsinnig. Plötzlich glaubten wir, alles zu wissen. Wir fragten die Rute jede unsinnige Kleinigkeit. Der Professor ließ uns gewähren, er kannte das schon.
Doch irgendwann wollten alle nicht mehr rumhexen oder Dr. Faust sein, sondern ernsthaft mehr erfahren über die Energien, die uns umgeben, die wir ausstrahlen, die uns schaden oder uns helfen. Wir legten Fluss-Steine auf das Yin- und Yang-Symbol und beklopften sie. Wir maßen die Energie vorher und nachher. Es schien so, als ob sie nach dem Beklopfen positiv aufgeladen waren. Wir durften experimentieren. Wir ruteten die Energien in unserer Wohnung aus. Mein Schlafzimmer konnte bessere Energie gebrauchen. Ich legte an jedes Bein meines Bettes einen beklopften Stein und wartete ab.
Und was sagte mein Kopf? Du hattest doch schon immer einen Hang für diesen Schwachsinn. Ja, seufze ich, stimmt. Aber sie bewegt sich doch …
Ich liege in meinem Bett und glaube und glaube nicht. Aber ich schlafe nun besser. Naja, denke ich prompt: Zufall. Krieg dich wieder ein … Aber auch mein Kater Oskar wechselt nun seinen Schlafplatz vom Ohrensessel in mein Bett. Und das bleibt so.
Darüber rede ich mit meinem neuen Kumpel, dem Zechenpförtner Helmut, der mich in meinem Garten beim Rutengehen beobachtet hatte und wissen wollte, was für einen Hokuspokus ich dort machte. Ich erschrak, ich wollte nicht als schräge Schreibmaus betratscht werden. Ich gab Helmut die Rute und erklärte kurz, was sie konnte. Helmut nahm sie in seine Pranke – und sie legte los. Vor Schreck ließ er sie fallen. Hob sie wieder auf und erschrak aufs Neue. Sie bewegte sich heftig. «Ich tu’ ja gar nichts», schwor er. «Wieso macht sie das?», fragt er mit großen Augen.
Er stand vor dem Schneeballbusch, der schlapp vor sich hin kränkelte, und Helmuts Rute zeigte stark und deutlich eine negative Energie. Ich gehe mit ihm zu meiner üppig knospenden Topfrose, da tobt die Rute eine deutlich anders drehende Bewegung. Helmut läuft nun von Pflanze zu Pflanze und staunt. Ich werde neidisch. Als er wieder am vor sich hin mickernden Schneeball angekommen ist, kratzt er sich am Kopf und meint, ein Kumpel von ihm hätte mal erzählt, dass sie früher einen Nagel in den Stamm eines kränkelnden Baumes geschlagen hätten, damit er sich erholt.
«Vielleicht hat das die Energieströme verändert», sage ich mit kleinlauter Expertenstimme. Helmut geht mit der Rute am Busch hoch. «Hier», sagt er, «hier ist die Störung besonders stark. Sollen wir einfach mal …?» Hm, denke ich, warum nicht. Ich hole einen Eisennagel und einen Hammer. Helmut erspürt die richtige Stelle und schlägt den Nagel fachmännisch ein. Jetzt müssen wir warten.
Zufällig treibt der Schneeball im Frühjahr neue Blätter und blüht wunderbar. Und was quakt mein Kopf (nein, nicht zufällig): Du glaubst auch jeden Mist. – Ja, dieses Mal gerne.