Es würde kein fröhliches Weihnachtsfest werden – aber ich würde es überstehen, Besuche machen, leckere Sachen essen und ohne Ende alte Filme schauen, bei den kleinsten Kitschstellen grandios heulen und immerzu: «Oh, ich Armearmearme!» seufzen. Dazu habe ich Talent. Aber erst einmal diese letzte Weihnachtstheatervorstellung hinter mich bringen in dem etwas abgetakelten Jugendhaus mitten im Ruhrpott im sozialen Brennpunkt.
Kindertheater zur Weihnachtszeit ist IN. Nie, niemals wollte ich ein Weihnachtsstück machen, aber dann hatte ich mitten im Sommer eine geradezu geniale Idee für eine kleine, feine, märchenhafte Weihnachtsgeschichte, und schwupps – in drei Monaten war alles fertig, und ich war ausverkauft. Das hieß: Vier Wochen non stop spielen, was meine miesen Finanzen rettete, mich aber so fertig machte, dass ich von Weihnachten nichts mehr wissen wollte. Von meinem Stück auch nicht. Es hing mir zum Hals raus.
Nun, am 23. Dezember, ein letztes Mal. Die Räume viel zu eng, die Bühne hatte kaum Platz, aber die Betreuer und die Kinder und Jugendlichen dort sind einzigartig, so richtige «Schätzekes» mit ruhrpottgroßen Herzen. Ich bin Fan von ihnen. Und sie sind Fan von mir. Na Gott sei Dank.
In der Geschichte kommen zwei Engel vor, der Postengel und der Helferengel von Lucia, das bin ich. Die Geschichte heißt: Der Weihnachtsmann ist eine Frau. Nun, der Postengel war ein Winzling, gerade mal fünf, die Flügel hingen fast bis auf den Boden und das weiße Nachthemd, sein himmlisches Gewand, schlabberte um seine Füße. Und dieser Engel wollte nichts weiter tun, als die Flügel ausbreiten und mit Karacho um die Kulissen düsen. Als Assistenten wählte ich Lars aus, vierzehn Jahre, der das unbedingt wollte, trotz Sprachfehler, trotz Nachthemd. Das ging ihm bis an die Knie. Er wollte nicht fliegen, er wollte ernsthaft helfen.
Also gut, dann ab in die Wolkenkulisse und den Schlitten holen – da klingelte ein Handy. Große Irritation im Himmel und auf Erden. Das Publikum schaute sich um und ich denke: Na Klasse, so was musste ja mal kommen. Da schiebt der himmlische Helfer Lars sein Gewand hoch, greift in seine Jeans, holt sein Handy heraus und sagt: «Ne, Mama, jetz nich’. Spspäter! Bin gerade Engel!» Und macht es wieder aus. Weiter geht’s. Ich halte durch, ich kürze an keiner der möglichen Stellen, die Kinder spielen mit Leib und Seele, ich auch. Als es zu Ende ist, schwimme ich in meinem Weihnachtsfraukostüm: schwerer roter Samt für Jacke, Rock und Mütze. Dazu Stiefel. Und jetzt noch eine gute Stunde alles abbauen, einpacken, zum Auto tragen …
Ich bin fertig. Ich möchte umfallen, in meinem Bett wieder aufwachen und Weihnachten ist vorbei, Halleluja!
Aber nix da! Einen Raum weiter wartet noch eine Weihnachtsfeier, liebevoll und wunderbar gemütlich ausgerichtet und auf Wunsch der Kinder mit Pommes und Würstchen. Man riecht es schon. Aber es wird noch dauern. Ich packe ein, etwa siebentausend Requisiten, und die Kinder bleiben einfach sitzen und schauen zu. Sie wollen helfen, aber das geht nicht. Viel zu viele Erklärungen wären nötig. Ich merke, wie meine Erschöpfung beginnt in Gereiztheit umzuschlagen. Die Kinder in dem engen Raum tuscheln, ich höre sie Stühle verrücken, dann ist es still. Ich schaue über meine Pappwolke, da sitzen sie und strahlen mich an. Der große Engel Lars hat den kleinen Engel auf dem Schoss, der hat den Daumen im Mund, die anderen sind nah zusammengerutscht und lehnen sich aneinander. Und dann singen sie. Sie singen mir alle Weihnachtslieder vor, die sie kennen, manchmal krumm und schief, manchmal zum Heulen schön. Ich werde ganz ruhig, lösche die Scheinwerfer, setze mich vor die Wolken und höre zu. Die Kerzen im Zuschauerraum flackern. Die Zeit verrutscht. Weihnachten findet dieses Jahr einen Tag früher statt. Und es ist, was es ist und was es immer sein sollte: Liebe. Und Frieden.