Olivia hatte neulich Geburtstag, ein ganz wichtiger Tag! Mein Mann und ich holten sie von der Schule ab, und unterwegs erzählte Olivia allen, die es wissen wollten – oder auch nicht wissen wollten –, dass sie gleich Geburtstag feiern würde! Fast jeder Erwachsene sagte daraufhin sinngemäß: «Toll, und was macht ihr?» Worauf Olivia ziemlich verwirrt entgegnete: «Geburtstag feiern!?» Damit sie nicht das Gefühl bekommen würde, dass an einer normalen Geburtstagsfeier etwas falsch sein könnte, begann ich die Frage für sie zu beantworten, indem ich erklärte, dass ihre Freundinnen kommen und wir Kuchen essen und spielen werden. Dass wir alles zum Motto «Schneeflocken» schön dekoriert hatten, kam mir wie eine Rechtfertigung dafür vor, dass wir nichts machten. Und nein, es war kein «Eisköniginnen-Geburtstag». Und ja, wir feierten tatsächlich zu Hause. Nochmals nein, es kam kein Fakir oder jemand von der Make up-Academy. All das erschien mir plötzlich fast revolutionär! Wir bekamen vielerlei Lob für die schier unglaubliche Idee, nicht in einem Indoor-Spielplatz, auf der Eisbahn oder in einem Ballettstudio zu feiern. Das sei ja auch alles gar nicht nötig. Komischerweise suggerierten mir aber genau diese Leute überhaupt erst, dass es eben doch nötig sei, beim allgemeinen Kindergeburtstagsevent-Wettrüsten mitzumachen.
Sollte Willi jemals den Entwicklungstand «Topfschlagen» erreichen, werde ich auf die Einladung «Retro-Geburtstag» schreiben, als coole Bezeichnung für einen ganz normalen Kindergeburtstag. Coolness interessiert Willi glücklicherweise bis jetzt so gar nicht, Eierlaufen allerdings auch nicht. Und ein schwer behindertes Kind, dem man für ein Spiel die Augen verbinden könnte, habe ich bis jetzt auch noch nie im Haus gehabt. Willi findet den Topf nicht mal, wenn er direkt vor seiner Nase steht. Erst wenn er das dritte Mal darunter Gummibärchen gezeigt bekommt und mit dem Kochlöffel schon vielfach aufs Kaffeegeschirr und den eigenen Kopf getrommelt hat, fällt langsam der Groschen, was er tun soll. Das Spiel ist aber dadurch nicht weniger lustig, im Gegenteil!
In diesem Jahr war ich schon mal sehr glücklich, dass Willi sich auf seinen Geburtstag freute und oft danach fragte: «Tsta? Tsta?» Als ich Willi auf die Tsta-Frage endlich antworten konnte, er müsse jetzt nur noch EIN Mal schlafen, sprang er sofort in sein Bett, schloss kurz die Augen, um mit einem vehementen «TSTAAA» wieder aufzuspringen. So süß! Ich wagte es nach zwei Jahren Pause sogar wieder, zwei Kinder aus seiner Schule einzuladen.
Der Ablauf der Party war dann übrigens (wenn auch nicht altersgemäß) ziemlich klassisch – bis auf die Spiele, die sich auf ein nicht ganz regelkonformes Dosenwerfen aus etwa 30 Zentimeter Abstand beschränkten (wann immer ich es schaffte, die Dosen aufzubauen).
Willi war der typische Gastgeber: Er machte den Kasper, warf mit Nergerküssen (ähh Schokoküssen) um sich – und keiner durfte seine Blink-und-Dudel-Spielsachen anfassen. Das eine Kind wollte die ganze Zeit zu Mama nach Hause, und das andere futterte so viele Süßigkeiten, dass es später eine unvorstellbare Menge an schlecht zerkautem Brei auf sich und unser Sofa erbrach. Dabei saß es kerzengerade, und es quoll nur so aus seinem Gesicht hervor, dass sich meinem Mann am Abend, als wir erschöpft Willis ersten richtigen Kindergeburtstag Revue passieren ließen, der Vergleich mit einer Popcornmaschine aufdrängte.
Die Feier war auch richtig toll und sogar im Nachhinein noch lustig – jetzt, wo das Sofa wieder ganz sauber ist.