Was meinten eigentlich Albert Einstein und Max Planck, als sie von einer Vernunft der Weltgesetzlichkeit sprachen? Und was weiß ein Kind davon?
Als ich Kind war, verbrachten wir einen Teil der langen Sommerferien am Meer. Meine Heimatstadt Lucca, am nordwestlichen Rand der Toskana gelegen, ist nur 25 Kilometer vom Tyrrhenischen Meer entfernt. Viareggio oder Forte dei Marmi, heute berühmte Ferienziele, waren während des ganzen Winters und Frühlings die Traumorte in der Fantasie eines nur im Lernstoff «schwimmenden» Grundschülers gewesen. Aber im Sommer, am Meer, da war es anders: Wenn der letzte Schultag vorbei war, wenn der Zug bestiegen wurde – in der Nachkriegszeit gab es nur wenige Autos – und die unsagbar schöne Meeresfläche mit ihrer makellosen blauen Kuppel sichtbar wurde, war das Glück vollkommen. Der Himmel und das Wasser nahmen mich einfach auf. Das Leben hatte mich wieder.
Aber auch tiefe Erlebnisse waren am Strand möglich. Fragen und Erlebnisse, die einen ein Leben lang begleiten und mitwachsen konnten – ja, die in späteren Jahren und Jahrzehnten ein Suchen und Forschen auslösten, das berufsbestimmend werden sollte. So sah ich eines Morgens zum ersten Mal einen vom nächtlichen Meer ans Ufer gespülten, einfachen Seestern. Die Überraschung, das Staunen und die Freude über diesen Fund sind mir heute noch in lebendiger Erinnerung. War damit doch meine erste elementare Begegnung mit der «überlegenen» und «allmächtigen Vernunft» aller Naturgesetzlichkeit geschehen, worüber Albert Einstein, Max Planck und andere Zeitgenossen sprachen. Denn was wusste ich damals schon über die geheime Mathematik und über die gewaltige Intelligenz, die in der gesamten Schöpfung anzutreffen ist? Ich wusste auch noch nicht, dass millimeterkleine Skelette von Strahlentierchen – sogenannte «Radiolarien» – in den Tiefen des Meeres oft ähnliche Formen haben wie vom Himmel fallende Schneeflocken. Und ich wusste auch noch nicht, dass Platon gesagt hatte, dass Gott in seiner Schöpfung fortwährend geometrisiert, ja, dass viele Weisen der Vergangenheit in der funktionellen Harmonie aller Prozesse in Natur und Weltall eine sich am Werk befindende Weltvernunft sahen. Und ich wusste noch nicht, dass es das gleiche Gesetz ist, nach dem im Wald ganze Anemonenfamilien wachsen und nach dem der Bussard mit seinen symmetrisch ausgespannten Flügeln seine Kreise in der Höhe zieht.
Ich las später, dass man im Mittelalter von den geistigen Planetensphären und von der Sonne als bewohnt von «Intelligenzen», sprach – ein Wissen, das nach und nach im Zuge reduktionistisch- materialistischer Weltdeutung verloren ging. Und ich wusste auch noch nicht, dass, wenn ich, als mit Intelligenz begabtes Wesen, «ich» zu mir sagte, auch diese Weltintelligenz «ich» zu sich sagen konnte.
Und doch weiß es ein Kind – alle Kinder wissen es. Sie wissen es nicht in ihrem Kopf, aber mit ihrem ganzen Sein, eingebettet wie es ist in Erde, Wasser, Luft, Wärme, Licht, Sonne und Mond. Aber wir vergessen es im Lauf des Lebens.
Später – ich war Soldat in Rom – entdeckte ich in einem Buch, das mir zufällig in die Hände fiel, dass auch der Natur- und Geisteswissenschaftler Rudolf Steiner bereits von einer Weltvernunft gesprochen hatte, die er «kosmische Weisheit» oder auch «kosmische Intelligenz» nannte, die im Menschen eine individuelle Existenz führt und die schöpferisch in Natur und All nicht nur mathematisiert, sondern auch architektonisch gestaltet, malt und plastiziert. Ja, dass sie im Menschen auch Gedanke, Wort, Gesang, Bewegung und Tat wird.
Damit wird die von Einstein, Planck und anderen anvisierte «Weltvernunft» gleichsam individualisiert und vertieft. Nicht nur IQ-Maßstäbe besitzt danach der Mensch, sondern auch soziale Gestaltungskraft, medizinisches, unternehmerisches oder sonstiges Know-how. Damit eröffnet sich ein Forschungsfeld, aus dem unter anderen der Intelligenzforscher Howard Gardner heute immer wieder neue Aspekte ans Tageslicht fördert. Ja, er spricht von einer multiplen Intelligenz, die im Wesentlichen mit geisteswissenschaftlichen Forschungsresultaten im Einklang ist. Nur die kosmische Seite der Intelligenz ist noch wenig erforscht.
Wenn aber der Intelligenz die schöpferische Herzenswärme fehlt, dann werden alle Intelligenzformen schattenhaft. Sie führen dann eine von Menschenwärme unabhängige Existenz in sogenannten Denkfabriken, Laboratorien und Forschungssanstalten und werden gefährlich oder zerstörerisch. Unsere Gegenwart bietet genug Anschauungsmaterial dazu. Hier ergeben sich viele Aufgaben im Rahmen von Pädagogik, Erwachsenenbildung und wissenschaftlicher Forschung.
Am Ausgang des Mittelalters begann im großen Stile die Vermessung der Erde. Unser Planet wurde umsegelt, neue Kontinente tauchten im Bewusstsein einer staunenden und sich vom alten Aberglauben befreienden Menschheit auf; Körper und Seele von Mensch und Tier wurden zunehmend erforscht. Heute, angesichts der brennenden Probleme unserer Gegenwart in Politik, Bildung, Forschung, Kunst und sozialem Leben, möchte man zu einer Entdeckungsfahrt in die kosmischen Bezüge der Intelligenz aufrufen. Deren Ergebnisse dürften dann mehr und mehr unsere Augen für das Irdische schärfen und unsere Anschauung der spirituellen Seite der Intelligenz vertiefen, damit unsere Zivilisation mehr und mehr die wahre Sonnenseite des Lebens entdeckt.