Wie uncool, denke ich mir, als die Redaktion anfragt, ob ich einen Text zum Thema «cool» schreiben könne. Eine Vokabel, die meiner Generation unzählige Male am Tag aus dem Mund ploppt – da scheint es spannendere Worte zu geben. Außerdem: Wer länger über cool nachdenkt, redet oder schreibt, hat aufgehört, cool zu sein. Wer es wirklich ist, schweigt sich über diesen Seinszustand geflissentlich aus, er ist es einfach. Alles andere ist uncool.
Zugegeben habe ich mit dem Uncoolsein jedoch kein großes Problem. Erstens war ich schon uncool, bevor uncool cool wurde. Und zweitens bin ich mittlerweile über dreißig, da muss man nicht mehr alles daransetzen, um so zu wirken. Das Streben nach Coolness ist vor allem pubertär bedingt, so meine erste Annahme. Sobald man sich etwas genauer umsieht, stimmt das natürlich nicht. Glaubt man der Werbung und zahlreichen Mainstream-Medien mit nicht gerade kleinen Auflagen, dann haftet insbesondere Männern beinahe lebenslang so etwas wie eine «Coolnesserwartung» an. Aus dieser Weltsicht heraus muss Mann vor allem cool und Frau vor allem hot sein. Nun, zum Glück gibt es auch andere Sichtweisen auf die Welt. Außerdem ist cool keine Mode- und Medienschöpfung, hier wird wohl lediglich etwas bedient und vermarktet. Cool ist was anderes. Aber was eigentlich genau?
Gar nicht so leicht, ein Wort in seiner Bedeutung zu fassen, das mittlerweile auf so gut wie alles Verwendung findet. Cool kann viel sein. Der Typ an der Bar, der Kindergeburtstag, die Urlaubspläne, das neue Auto, das alte Auto, eine Idee, die Zahnpasta, früher mal Vokuhila, heute eher dies, morgen eher das – immer jedoch ist etwas Positives gemeint. Cool ist zur «Universalvokabel des Bejahenswerten» geworden, wie der Schweizer Philosoph Andreas Urs Sommer es ausdrückt. Cool hat sich als Synonym für Adjektive wie schön, toll, lässig, großartig, genial oder grandios eingeschlichen und viele dieser Worte verdrängt. Mit seinem Siegeszug ist unsere Alltagssprache ein bisschen eindimensionaler geworden. Viele Dinge sind jetzt nicht mehr fabelhaft, fantastisch, schön oder wunderbar, sondern einfach cool. «Aus den Dingen schwindet die Wärme», könnte man Walter Benjamin herbeizitieren, der mit diesem Satz von 1928 poetisch komprimiert das Anrollen des technisch-konsumistischen Zeitalters beschrieb. Ungefähr fünfzig Jahre nach seiner Notiz wird das englische «kalt» oder «kühl» so häufig auf Dinge, Menschen und Sachverhalte angewendet, dass es die Weihen des Stammbuchs der deutschen Sprache erhält: 1980 wird es in den Duden aufgenommen. «[ku:l] engl.; ‹kühl›: (salopp) 1. leidenschaftslos, nüchtern-sachlich u. kühl im Handeln od. Einschätzen einer Situation. 2. Sehr gut.»
Sagt die Konjunktur eines Adjektivs etwas über eine gesellschaftliche Entwicklung aus? Bestimmt. Aber was? Cool ist nicht nur Adjektiv, Cool ist auch Attitüde. Oder, wenn man es ernster nimmt: Seelenhaltung. Und wenn man es noch ernster nimmt: Überlebensstrategie. «Keep cool!» – rief Marcus Garvey, einer der ersten schwarzen Bürgerrechtler, seinen Anhängern immer wieder zu und machte den Ausdruck unter ihnen zu Anfang des letzten Jahrhunderts zum geflügelten Wort. Angesichts der Demütigungen durch die weiße Bevölkerung propagierte Garvey den kühlen Kopf, das Ruhigbleiben als eine Möglichkeit des Selbsterhalts,
des Würdebewahrens und der Sammlung von Kräften für eine Veränderung der Verhältnisse. Eine Haltung, die Generationen von schwarzen Sklaven bereits eingeübt hatten, weil ihnen gar nicht viel anderes übrig blieb, als cool zu bleiben. Also angesichts einer schier ausweglosen Situation nach innen stark und nach außen gleichmütig zu bleiben. Der Schritt zur Ghetto-Coolness schwarzer Hip-Hopper, die mit zur Schau gestellter Unerschütterlichkeit und betonter Lässigkeit widrigen sozialen Verhältnissen begegnen, ist nicht allzu weit.
In seinem Buch cool vertritt der Journalist Ulf Poschardt mit Beispielen die These, dass mit der Moderne eine besondere Form sozialer Kälte in unsere Kultur eingezogen sei und damit auch die Coolness geboren wurde: «Mit cooler Lässigkeit legt das Ich gleichsam einen Schutzanzug an, um die gefrierende Wirklichkeit von sich abzuhalten und die echten Gefühle, die innere Hitze zu bewahren.» Cool trägt die Kälte im Kern, sowohl die physikalische als auch die psychologische.
Aber sind die Dinge, ist die Gesellschaft wirklich kälter geworden und cool als Wort und Wesenszug der Widerhall? Genauso gut wie als erkaltet könnte man die Welt auch als überreizt, überlaut, überemotionalisiert, überspannt, überdreht, kurz: als überhitzt empfinden. In der Informations- und Kommunikationsgesellschaft, in der das Individuum im wahrsten Sinne des Wortes unter Strom gesetzt ist, wird das Heißlaufen bis zum Ausbrennen schnell zur Realität. Dass der ursprünglich auf das Ausschalten von Computern und großer technischer Anlagen verwendete Begriff des Herunterfahrens mittlerweile auch auf den Menschen und seine persönliche Auszeit verwendet wird, sagt hierzu einiges. Der Cool-Down wird überlebenswichtig; cool zu bleiben bedeutet hier, eine Distanz zum heißrotierenden Motor des medial-kapitalistischen Betriebes herzustellen und sich nicht von jeder der unzähligen Anforderungen, Versprechungen und Reizungen heißmachen zu lassen. So mag es nachvollziehbar sein, dass ein Wort, das nicht einfach nur kalt bedeutet, sondern auch die lindernde Kühle, die Unaufgeregtheit, die Ruhe in sich trägt, häufig und im positiven Sinne gebraucht wird.
Sei es nun als Reaktion auf Kälte oder auf Hitze – cool trägt die schützende Distanz, das ruhige Bei-sich-Bleiben in sich. In einer eiskalt überhitzten Welt bildet die Kühle der Coolness den wohltemperierten Zustand zwischen den Extremen. Coolness ist der gelungene Versuch gegenüber Eindrücken von außen oder Emotionen von innen souverän zu bleiben. Man muss nur unterscheiden zwischen echter und oberflächlicher Coolness, zwischen heilsamer Distanz und kalter Gleichgültigkeit, zwischen modischem Cool und wirklichem Cool. Wer wirklich cool ist, der lässt keine Scheiße an sich heran, der lässt sich nicht anmachen. Oder, um es gehobener auszudrücken: Wer wirklich cool ist, dem gelingt es, in den Wirren und Wellen der Welt eine Mitte herzustellen, welche die vorteilhafte Position eines Beobachters ermöglicht, der aus einem eigenen Standpunkt heraus handeln kann. Dann ist cool gar nicht so uncool.