Ein Sechsjähriger sitzt mit seinem Papa in einer Eisdiele. Auf einmal und ganz unvermittelt fragt er: «Du, Papa, gell, es gibt schon mehr gute Menschen als schlechte. Oder?» Der Vater schaut zunächst etwas ratlos und rückt seinen Stuhl zurecht. Schließlich antwortet er beherzt: «Ja! Und jeder kann jeden Tag etwas dazu beitragen.»
Und was ist es, was «jeder jeden Tag dazu beitragen» kann? Gute Ratschläge – wie etwa: «Lüg nicht!», «Iss nicht so unappetitlich!«, «Sag keine schlimmen Ausdrücke!» etc. – werden es wohl nicht sein. Vielmehr können wir etwas dazu beitragen, wenn wir bei uns selbst anfangen. Selbst darauf achten, das zu sagen, was wahr ist. Selbst vormachen, wie man gepflegt isst. Selbst nicht zu fluchen. Denn Kinder nehmen sehr genau wahr, was wir Erwachsene vorleben. «Aber du machst es doch auch», ruft der Sohn, als seine Mutter, die von den Kindern keine Schimpfworte duldet, selbst eines von sich gibt. «Oh, das tut mir leid», sagt sie. «Da muss ich künftig wirklich mehr aufpassen.» – Mehr aufpassen, das sollten wir alle. Und Fehler zugeben. Denn auch das gehört zur Bildung des Herzens.Wenn Kinder uns mit ihrer natürlichen Offenheit die eigene Nachlässigkeiten spiegeln, dann müssen wir nicht gleich beleidigt reagieren, sondern lernfähig sein. Schon bei Goethe heißt es: «Ein Werdender wird immer dankbar sein!» (Faust I) Und Werdende sind wir auch als Eltern: Wir können viel lernen, wenn wir mehr darauf achten, was Kinder an Herzensimpulsen mit auf die Welt bringen.
Herzensimpulse der Kinder: Haben Sie schon einmal beobachtet, wie gerne kleine Kinder abgeben? Alle Kleinen haben zunächst diese wunderbare Eigenschaft, die jedoch oft von Erwachsenen ausgebremst wird. So wie bei diesem Kind im Kinderwagen: Papa gibt ihm ein Apfelstück. Das Kind nimmt es, beißt ab und streckt es sogleich dem Papa entgegen. Er soll auch abbeißen. Doch der schüttelt den Kopf. Das Kind versucht es erneut. «Nein!», wehrt der Vater ab. «Ich will nichts. Das ist alles für dich!»
Erwachsene finden sich oft großzügig in ihrer Haltung «Alles Beste nur für dich» und merken nicht, wie dadurch die natürlichen Herzkräfte der Kinder zurückgedrängt werden. Vielleicht wird dieses Kind – und auch andere, die derartig abgewiesen werden – den Eltern noch ein paar Mal etwas anbieten, bis es gelernt hat: Meine Gaben sind gar nicht erwünscht.
Ähnlich ist es mit dem Belohnen. Kinder sind von sich aus motiviert zu helfen – solange es ihnen nicht abgewöhnt wird. Mittlerweile belegen «mehr als 100 Studien, dass Belohnung die Eigenmotivation schwächt» (Süddeutsche Zeitung, 17. Mai 2010). In einer dieser Studien mit zwei Gruppen von 20 Monate alten Kleinkindern sollte eine Versuchsleiterin ihren Schreibtisch aufräumen und dabei einen Bleistift fallen lassen. Den Kindern der ersten Gruppe gab sie für das Aufheben je einen Spielklotz. Die Kinder der zweiten Gruppe bekamen nichts. Die Forscher stellten fest: Bei den Kindern, die für ihre Hilfeleistungen belohnt wurden, ließ der innere Drang zu helfen nach.
Herzliche Zuwendung lässt Kinder aufblühen. Angefangen vom ersten Lächeln eines Babys, dem – etwa ab der 6. Lebenswoche – die «Lächeldialoge» folgen. Und nur folgen, wenn der Erwachsene es anlächelt. Dann entsteht dieses beglückende Anstrahlen: hin und her. Wie traurig ist es dagegen, nur so geradeaus «in die Welt» zu gucken! Kinder brauchen «Elternsonne». Die Eltern sind wichtig. Sie sollen gucken. Tun Sie es also und lächeln Sie Ihr Kind an, wo immer Sie mit ihm beisammen oder unterwegs sind. Und Sie können sich freuen, denn Lächeln ist ansteckend. Wem immer Sie es schenken – es kommt zurück.
Herzlichkeit schenken – gerade auch den Familienmitgliedern, die wir ja so gut kennen. Beim Beispiel mit dem Apfel bedeutet dies: Dann kosten wir eben ein klein wenig vom dargebotenen Apfel und sagen freundlich «Danke». Das Kind wird dies mit einem Strahlen quittieren und lernen: «Es ist gut, wenn ich abgebe.»
Bezüglich der Belohnungen ist wichtig zu wissen, dass – im Gegensatz zu materiellen Gaben – ein herzliches Dankeschön mit Augenkontakt ein Kind innerlich bestärkt und positiv sozialisiert.
Wie überhaupt jede Begegnung beglückt. Daher ist das Begrüßen so wichtig. Gleich am Morgen innig begrüßen. Mit Körperkontakt und mit Namen, statt den Morgenmuffel zu markieren. Spüren Sie, wie der Tag gleich ganz anders beginnt – auch für Sie selbst. Das gilt übrigens genauso für ein herzliches Verabschieden. Und es stärkt Kinder emotional, was besonders heute unerlässlich ist, wo das Thema Gewalt allgegenwärtig ist – in den Medien, der Werbung und sogar den angesagten Spielfiguren. Hier können Sie als Eltern ein «gutes Gewissen» haben, wenn Sie Ihrem Kind Dinge verweigern, die eindeutig das Negative betonen. Der Einwand «Aber dann ist mein Kind sauer» stimmt zwar, doch das ist völlig in Ordnung. Denn letztendlich lernt Ihr Kind, dass Ausflippen nicht belohnt wird und dass Papa und Mama eine klare Haltung haben – ohne einzuknicken. Das erfordert Mut. Und Mut ist eine wichtige Herzenskraft, die hier vorgelebt wird.
Das Herz hüpft, wenn Kinder zeigen dürfen, was in ihnen steckt. So wie bei diesem Vierjährigen. Die Großeltern holen ihn vom Kindergarten ab. «Ich hab Bauchweh!», sagt der Kleine. «Oh, dann gehen wir am besten gleich heim, denn bei Bauchweh hilft am besten Apfelkompott», sagt die Großmutter und nimmt den Kleinen an die Hand. Zu Hause zieht sie sich eine Schürze an. Auch das Kind bekommt eine. Und schon geht’s los: Die Großmutter schält und entkernt die Äpfel. Der Kleine steht auf einem Schemel neben ihr, hat ein Brettchen vor sich und ein Messer und darf nun die Apfelviertel klein schneiden und in den Topf geben. Er ist innig bei der Sache. «Gut machst du das!», bestätigt die Großmutter. «Hilfst du zu Hause auch so gut mit?» – «Nein. Die lassen mich nicht!», sagt der Kleine.
Unterschätzen Sie Ihre Kinder nicht, sondern nehmen Sie sie wahr – eine helle, echte Freude wird sich zeigen, wenn sie gesehen werden, wenn sie mitwirken dürfen und mit einem herzlichen Lächeln bestärkt werden. Einfach so mal zwischendurch. Lächeln schafft die kürzeste Verbindung zwischen Menschen und erwärmt Herzen – und das braucht die Welt.